Im Reich des Vampirs
einen harten Tag. Danke der Nachfrage.« Er war wirklich süÃ. Eine hochwillkommene Erinnerung daran, dass es noch nette Menschen auf der Welt gab. Ich hatte nur nicht gerade viel mit ihnen zu tun.
»Du schreibst?« Er deutete auf mein Tagebuch. Ich hatte es zugeklappt, als er sich zu mir gesetzt hatte.
»Ich führe Tagebuch.«
»Wirklich?« Er hob eine Braue und in seinem Blick lag Interesse.
Beinahe hätte ich laut gelacht. Ganz bestimmt dachte er, dass ich über niedliche Jungs, hübsche Klamotten und den neuesten Fernsehstar schrieb, für den ich schwärmte â eben über all die Dinge, die mich früher beschäftigt hatten. Ich war versucht, das Buch über den Tisch zu schieben und ihm zu erlauben, eine oder zwei Seiten zu lesen. Mal sehen, ob er dann noch mit mir zusammensitzen wollte. Nach drei Whisky war ich betrunken genug, so etwas Verrücktes zu tun.
Ich hatte die Lügen und die Einsamkeit satt â ich war es leid, mich von der Welt abgeschnitten zu fühlen und nur mit Menschen zusammen zu sein, denen ich nicht trauen konnte. Plötzlich wünschte ich mir, den Leuten zu vertrauen, mit denen ich nicht zusammen sein konnte, wie zum Beispiel Christian oder seinem Kollegen, dem Jungen mit den verträumten Augen. Ich hungerte nach Normalität und war zornig genug, jede Chance, sie zu bekommen, zu zerstören.
»Sieh nach.« Ich schob ihm das Buch zu.
Er erschrak, schien unschlüssig zu sein. Ich merkte, dass er mich sehr gern näher kennenlernen würde â welcher Mann würde die Gelegenheit, die unzensierten Gedanken einer Frau zu lesen, ungenutzt verstreichen lassen? Dennoch war er sich bewusst, dass er meine Würde wahrenmusste, wenn ich zu betrunken war, es selbst zu tun. Wer gewann: Mann oder Gentleman?
Der Mann schlug das Buch auf der ersten Seite auf â die Seite, auf der ich die neuesten Unseelie beschrieb, die ich gesehen hatte; auf der nächsten Seite stellte ich Spekulationen an, auf welche Art sie töteten und wie ich sie am besten töten könnte.
Ich wartete, bis er beide Seiten gelesen hatte, ehe ich das Tagebuch wieder an mich nahm.
»So«, meinte ich vergnügt, »jetzt weiÃt du, dass ich verrückt bin  â¦Â« Ich hielt inne und starrte ihn an. »Du weiÃt doch, dass ich verrückt bin, oder?« An seinem Blick stimmte etwas nicht.
»MacKayla«, sagte er leise, »komm mit mir â an einen Ort, der sicherer ist als dieser. Wir müssen reden.«
Ich sog scharf die Luft ein. »Ich habe dir nicht gesagt, dass mein Name MacKayla ist.« Ich sah ihn entgeistert an, war ein bisschen zu beschwipst, um mit der Panik umzugehen, die ich bei dieser unerwarteten Wende empfand. Ich hatte versucht, meine Chance auf Normalität zu zerstören, nur um herauszufinden, dass es diese Chance nie gegeben hatte, weil dieser Junge auch nicht normal war.
»Ich weiÃ, wer du bist. Und was du bist«, sagte er leise. »Mir sind solche wie du schon begegnet.«
»Wo?« Ich war vollkommen konfus. »Hier in Dublin?«
Er nickte. »Und woanders.«
Bestimmt nicht. War das möglich? Er kannte meinen Namen. Was wusste er sonst noch über mich? »Kanntest du meine Schwester?« Plötzlich war ich ganz auÃer Atem.
»Ja«, erwiderte er bedeutungsschwer, »ich kannte Alina.«
Mir blieb der Mund offen stehen, dann hauchte ich: »Duhast meine Schwester gekannt? « Woher wusste er von uns? Wer war dieser Mann?
»Ja. Kommst du mit? Irgendwohin, wo wir in Ruhe reden können?«
Das Klingeln war, obwohl mein Handy in der Handtasche vergraben war, so laut, dass ich regelrecht zusammenfuhr. Die Gäste drei Tische weiter drehten sich mit finsteren Blicken zu mir um. Ich konnte es ihnen nicht übel nehmen; es war ein nervtötender Klingelton â eine donnernde Trompetenfanfare. Offenbar wollte Barrons nicht, dass ich auch nur einen seiner Anrufe überhörte.
Ich tastete nach dem Telefon und klappte es auf. Barrons klang sauer. »Wo, zum Teufel, stecken Sie?«, wollte er wissen.
»Das geht Sie gar nichts an«, entgegnete ich kühl.
»Ich habe heute Abend zwei Jäger in der Stadt gesehen, Miss Lane. Man munkelt, dass noch mehr auf dem Weg hierher sind. Sehr viel mehr. Schwingen Sie Ihren Hintern nach Hause.«
Ich war wie erstarrt und lauschte in die tote Leitung. Er hatte gesagt, was gesagt werden
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