Im Reich des Vampirs

ich gegen eine Ziegelmauer geprallt. In dieser Stadt tauchen die Sackgassen und Einbahnstraßen unerwartet und überall auf. Ich musste hier raus, bevor die Rhino-Soldaten anrückten. Über die Mauer kam ich nicht. Sie war dreieinhalb Meter hoch, und nirgendwo stand eine Mülltonne, auf die ich klettern könnte.
    Ich war nur drei Blocks vom BARRONS BOOKS AND BAUBLES entfernt – es war hinter dieser Mauer und zwei Straßen weiter. Nah, so nah!
    Ich drehte mich um.
    Und erstarrte.
    Es war, als hätte jemand am Himmel über mir einen riesigen Gefrierschrank geöffnet. Die Temperatur sank rapide. Kleine Eiskristalle bildeten sich auf meiner Haut.
    Es war da. Ich wusste, was es war. Jede Faser meines Seins wusste, was es war, und das nicht nur, weil ich von ihnen gelesen, Barrons mir von ihnen erzählt und ich Zeichnungen gesehen hatte.
    Die Bestie lauerte drohend über mir. Ich fühlte, wie die riesigen Schwingen die Luft bewegten. Der Gestank nach Schwefel und altem Staub stieg mir in die Nase. Wenn es in der Hölle Drachen gab, dann mussten sie so stinken.
    Sidhe -Seherin, sagte das Ungeheuer, ohne wirklich zu sprechen. Die Stimme dröhnte in meinem Kopf an diesem fremdartigen, glühenden Ort. Sklavin. Du gehörst uns.
    Â»Verschwinde«, knurrte ich und schlug mit dem heißen, fremdartigen Feuer in meinem Kopf zu.
    Plötzlich durchdrang es nicht mehr mein Bewusstsein,aber es lauerte noch über mir. Die Luft bewegte sich noch, der beißende Gestank war nach wie vor da.
    Ich versuchte, die Entfernung bis zum Anfang der Gasse abzuschätzen und zu berechnen, wie lange ich bis dorthin brauchen würde. Wie schnell war dieses Monster? Wie groß war es? Die Beschreibungen, die ich gelesen hatte, variierten beträchtlich. Passte es zwischen die Gebäude? Konnte es vom Himmel stoßen und mich mit den Klauen packen? Würde es den Buchladen auf der Suche nach mir auseinanderreißen? All seine Artgenossen herbeirufen, um das Gebäude zu zerstören? Bekäme überhaupt irgendjemand etwas davon mit oder »verhüllten« die Jäger ihre Untaten genauso wie die Schatten die Dunklen Zonen? Durfte ich es wagen, das bösartige Ding zu Barrons zu führen? Traute ich mich, nicht zu Barrons zu gehen? Wenn ich ein Haus betrat, irgendeines, würde es dann von mir ablassen oder wie Poes Rabe bis in alle Ewigkeit auf dem Giebel hocken? Machte es diese Standortwechsel und materialisierte sich dort, wo ich gerade war?
    Â»Scheiße«, fluchte ich mit Nachdruck. Manchmal gab es einfach kein anderes Wort dafür.
    Ich musste wissen, wovor ich davonlief. Wissen ist Macht. Das ist eine Wahrheit, die mich nie getrogen hatte.
    Ich wischte die Eisflocken von meinem Gesicht und schaute auf.
    Direkt in grausige Augen – zwei glühende Höllenfeuer inmitten von wirbelnden schwarzen Eiskörnern starrten mich mit vernichtender Bosheit an.
    In den Büchern, die ich gelesen hatte, wurden die Königlichen Jäger mit den Darstellungen des Teufels verglichen.
    Die Bücher hatten recht.
    Irgendwann in unserer menschlichen Geschichte musste eine Sidhe -Seherin oder mehrere Einfluss auf die religiösenMythen oder die Aufzeichnungen in der Bibel gehabt haben. Sie hatten die Jäger gesehen und ihre Erinnerung genutzt, um den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes Höllenangst einzujagen.
    Für einen Moment fiel es mir schwer, das Ding vom Nachthimmel zu unterscheiden – beide waren pechschwarz. Dann klärte sich meine Sicht und etwas in meinen Genen erkannte alles: groß und düster, schwarze ledrige Flügel an einem schwarzen ledrigen Körper, ein massiver satyrähnlicher Schädel, klauenartige Hufe und ein gegabelter Schwanz. Dazu eine lange, gespaltene Zunge und lange gebogene schwarze Hörner mit blutroten Spitzen. Es war schwarz – schwärzer als schwarz; es absorbierte das Licht um sich herum, schluckte es, nahm es in sich auf, verschlang es und spuckte es als Gifthauch aus Dunkelheit und Elend wieder aus. Und es war kalt. In der Luft, die es mit seinen trägen Schwingen bewegte, tanzten glitzernd schwarze Eisflocken und verwirbelten unter dem ledrigen Körper. Es war das einzige Feenwesen – bis auf V’lane bei unserer ersten Begegnung –, dessen Präsenz die unmittelbare Umgebung veränderte. Auch V’lane hatte die Luft vereist, wenn auch nicht so offenkundig und dramatisch. Das