Im Ruecken steckt das Messer - Geschichten aus der Gerichtsmedizin
aus Amerika übernommene »second opinion« gibt dem Patienten Sicherheit und reduziert die Fehlerquote drastisch. Im oben zitierten Zeitungsartikel betonte auch ein Pathologe die Rolle der Kommunikation für die Qualitätssicherung: »In unserem Haus gibt es ein Mikroskop, mit dem bis zu 18 Ärzte gemeinsam eine Probe begutachten können. Diese gegenseitige Kontrolle ist ebenso wichtig wie die ständige Fortbildung des Personals.« Liest ein medizinischer Laie so etwas in der Tagespresse, könnte er sich fragen, ob die Diagnosen dann durch Abstimmung erstellt werden. Achtzehn begutachtende Ärzte sind schlecht, denn bei Meinungsverschiedenheiten könnte es neun zu neun ausgehen, und was dann? Eine ungerade Zahl wäre besser.
Viel ernster zu nehmen ist ein anderes Szenario, das man den Patientinnen nicht oft genug sagen kann. Es betrifft Frauen und die Krebsvorsorge durch zytologische Abstrichdiagnostik. Wird einer Frau durch ihren Gynäkologen ein verdächtiger oder positiver Befund mitgeteilt, so suchen diese oft einen anderen Frauenarzt auf, um eine zweite Meinung einzuholen. Durch den Erstabstrich ist aber die krankhaft veränderte Schleimhautschicht abgewischt worden, daher ist es kein Wunder, wenn die Zweituntersuchung ein negatives, für die Frau also günstiges Ergebnis bringt. Wenn sich die Patientin nun freut, der zweiten Untersuchung mehr glaubt als der ersten, so begeht sie einen fatalen Fehler. Sie meint gesund zu sein, ist es natürlich nicht, und es verstreicht wertvolle Zeit für eine Behandlung.
Dr. Zorro
In New York stand im Februar 2000 Dr. Allan Zarkin vor Gericht. Er hatte im Beth Israel Medical Center der 31-jährigen Liana Gedz nach einem Kaiserschnitt seine Initialen »AZ« in die Bauchhaut geritzt. »Ich habe so gute Arbeit geleistet, dass ich sie signieren musste« hat er seinen verdutzten Kollegen erklärt. Wegen schwerer Körperverletzung drohen ihm bis zu 25 Jahre Haft, der Verteidiger plädiert auf Geistesstörung. Die »gezeichnete« Patientin klagt in einem gesonderten Zivilrechtsverfahren auf rund 5,2 Mio. Euro Schadenersatz. Weitere Ermittlungen sollen klären, ob Dr. Zarkin auch andere Patientinnen entstellt hat. Die psychiatrische Untersuchung wird ebenfalls noch einige Zeit in Anspruch nehmen, das Verfahren kann lange dauern. Einen kennzeichnenden Spitznamen hat der Arzt schon erhalten, man nennt ihn Dr. Zorro.
Unleserlich
Viele Ärzte sind berüchtigt für ihre erbärmliche Handschrift. Kollegen und vor allem Apotheker mühen sich bei der Entzifferung. Der Kardiologe Dr. Ramachandra Kolluru hatte im Jahre 1999 ein Rezept für das herzstärkende Mittel »Isordil« ausgestellt. Der Apotheker hingegen las »Plendil« und gab dem Herzkranken dieses blutdrucksenkende Medikament. Einen Tag später war der 42-jährige Patient tot. Als erster Arzt wurde Dr. Kolluru wegen unleslicher Schrift von einem Gericht in Texas verurteilt. Er muss den Hinterbliebenen 224 000 US-Dollar zahlen.
Dass Kritzeleien in den USA erschreckend häufig zu Todesfällen führen, ist der amerikanischen Gesundheitsbehörde bekannt. Man schätzt, dass jährlich 7000 Menschen sterben, weil
sie falsche Medikamente erhalten haben. Handgeschriebene Rezepte, die kaum zu entziffern sind, gelten als eine der häufigsten Fehlerquellen.
Dr. Paul Hackmeyer vom Cedars Sinai Hospital in Los Angeles wurde aktiv. Er gab die rätselhaftesten Rezepte seiner Kollegen in der hauseigenen Mitarbeiterzeitschrift in Faksimile wieder. Ein Sonntagsbrunch im »Four Seasons« war der Preis für den Ersten, der das Geschmiere deuten könne. Wochenlang blieb der Wettbewerb ohne Sieger. Neben Rezepten sind vor allem handschriftliche Operationspläne und Laboranweisungen verwirrend und gefährlich, dazu kommt die kaum mehr überschaubare Anzahl der verschiedensten Abkürzungen.
Der Blick in die Zukunft
Mindestens genauso schwierig und fehlerhaft wie die Todeszeitbestimmung an einer aufgefundenen Leiche ist das Abschätzen des Ablebens bei todkranken Menschen.
Jeder erfahrene Arzt weiß, wovor man sich besonders hüten muss. Niemals den Blick in die Zukunft wagen und eine konkrete Zeitspanne angeben, die ein Patient noch zu leben hat. »Mors certa, hora incerta«, der Tod ist gewiss, die Stunde ungewiss, haben schon die alten Lateiner gesagt. Daran sollte man sich auch heute noch halten.
Wie lange hat ein Todkranker noch zu leben? Einen Monat oder eher drei? Meist überschätzen die Ärzte die noch verbleibende Lebenszeit ihrer
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