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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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Ich bin gerade aus dem Auto ausgestiegen. Mike schläft. Er ist vor einer Viertelstunde eingenickt. Wie spät ist es?«
    »Kurz vor acht. Was ist passiert? Wo –«
    »Vals Bruder hat Mike auf dem Handy angerufen. Ich war nach nebenan gegangen, um mich für ein Stündchen hinzulegen – es muss so gegen zwölf gewesen sein. Du weißt, was es mit diesem Heli-Skiing auf sich hat, oder?«
    »Val hat ein bisschen davon erzählt. Man wird mit einem Hubschrauber in die Wildnis geflogen und hüpft dann auf einem Berggipfel raus. Reinster Pulverschnee. Nur was für erfahrene Pistenjäger.«
    »Nun ja, eines der Risiken dabei ist, dass bei diesen waghalsigen Aktionen immer etwas schief gehen kann.« Mercer hielt inne. »Irgendetwas – ihr Sprung oder der Hubschrauber – hat einen Schneerutsch ausgelöst.«
    »Wie ist es passiert? Ist sie beim Landen gestürzt?«
    »Sie sind zu dritt in eine Felsspalte gestürzt. Der Schnee brach einfach weg und gab einen riesigen Abgrund frei. Val und noch zwei andere sind in die Tiefe gestürzt. Ihr Bruder war in der Gruppe hinter ihnen. Er hat alles mit angesehen.«
    Ich dachte daran, wie tapfer Valerie Jacobsen gegen den Krebs gekämpft hatte, um jetzt bei diesem halsbrecherischen Sport ums Leben zu kommen.
    »Wann ist es passiert? Gestern?«
    »Vorgestern. Es hat vierundzwanzig Stunden gedauert, die Leichen zu bergen.«
    »Und da hat man Mike erst letzte Nacht angerufen? Was haben sie sich bloß dabei gedacht? Wissen sie denn nicht wie sehr er sie liebt?«
    »Willst du seine Meinung hören? Er ist überzeugt, dass Vals Eltern ihn nicht dort haben wollten. Wahrscheinlich wissen sie nicht einmal, wie ernst die Beziehung war. Er glaubt, dass sie es nicht wissen wollten.«
    »Wann ist die Beerdigung?«
    »Heute in aller Herrgottsfrüh. Um neun Uhr, in Palo Alto. Im Kreis der Familie. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte er nicht rechtzeitig dort sein können. Möglicherweise haben sie es so geplant.«
    Meiner Ansicht nach war das immer einer der Vorzüge des jüdischen Glaubens gewesen. Man hielt nicht eine Woche bei einem Leichnam Totenwache, sondern brachte das Begräbnis vor Sonnenuntergang des nächsten Tages hinter sich und gab sich dann der Trauer hin. Ein starker Kontrast zu den katholischen Gepflogenheiten, mit denen Mike aufgewachsen war.
    »Laut Auskunft ihres Bruders wird in zwei Wochen ein Gedächtnisgottesdienst stattfinden«, sagte Mercer. »Wenn ich’s dir sage, Alex, Mike ist außer sich vor Wut. Er weiß nicht, gegen wen er sie zuerst richten soll.«
    »Wo seid ihr?«
    »Gute Frage«, sagte Mercer. »Schon mal von Jamestown, Rhode Island, gehört?«
    »Natürlich, das liegt gleich auf der anderen Seite der Brücke nach Newport. Warum?«
    »Wir stehen gerade hinter einer Tankstelle«, antwortete Mercer leise. »Wir sind kreuz und quer herumgekurvt, seit wir Manhattan verlassen haben. Es kommt mir vor, als wolle er ein Stück von Val finden, etwas Konkretes, an das er sich klammern kann. Besser kann ich es nicht ausdrücken.«
    »Aber warum dort?«
    »Als sein Handy vibrierte, ist er raus, um dich nicht aufzuwecken. Er kam zu mir ins Zimmer – muss gleich danach gewesen sein.«
    »Was hat er getan?«
    »Er … er war völlig außer Rand und Band, eher wütend als traurig, würde ich sagen. Er wusste, dass er das Krankenhaus verlassen musste, um nicht alles kurz und klein zu schlagen.«
    »Mike hat noch alle Zeit der Welt, traurig zu sein.«
    »Dann telefonierte er alle Fluggesellschaften ab, um herauszufinden, um wie viel Uhr er einen Flug bekommen könne. Vals Bruder rief ihn zurück, um es ihm auszureden.«
    »Warst du die ganze Zeit bei ihm?«
    »Ja, so ziemlich. Als Erstes sind wir zu Vals Wohnung gefahren. Dort wollte er allein sein. Er brauchte das.«
    »Natürlich.«
    »Er war ungefähr eine Stunde in ihrer Wohnung. Als er wieder herunterkam, meinte er, dass er wohin fahren wolle. Er hatte eine Hand voll Bilder von ihr und einen Stapel ihrer Lieblingsbücher dabei. Ich habe ihm gesagt, dass er ohne mich nirgendwo hinfahren könne.«
    »Gott sei Dank!«
    »Mike wollte unbedingt selbst ans Steuer. Wir fuhren eineinhalb Stunden in Richtung Norden den Taconic Parkway hinauf. Wir parkten vor einem kleinen Gasthof, in dem sie einmal eine Nacht verbracht hatten, stiegen aus und liefen schweigend umher. Dann fuhr er quer durch Upstate New York hinüber nach Connecticut, nach New Haven.«
    »Richtig, sie haben ein paar Mal zusammen den Yale-Campus besucht.« Vals

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