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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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Architekturbüro hatte an dem Gesamtplan der Universität gearbeitet. Er liebte es, sich die Gebäude anzusehen, die sie entworfen hatte.
    »Als wir um fünf Uhr früh wieder auf die Autobahn fuhren, ging ich davon aus, dass wir in die Stadt zurückfahren würden. Aber er fuhr in die andere Richtung. Sie haben letztes Jahr im Herbst ein Wochenende hier in Jamestown verbracht, während der Hochzeit einer Freundin von Val.«
    »Mercer, ich habe eine Idee. Von Jamestown ist es nur eine Stunde bis zur Fähre. Fahrt nach Martha’s Vineyard. Ich rufe meinen Haushälter an. Bis ihr dort seid, kann er das Haus aufsperren.« Ich rechnete die Fahrtzeit plus die dreiviertelstündige Überfahrt von Woods Hole.
    »Ich weiß nicht, Alex. Er schlägt hilflos um sich. Er weiß nicht, was –«
    »Mike liebt die Insel. Und Val war auch immer gern dort. In einem der Gästezimmer steht ein wunderschönes Foto von ihr, als wir einmal einen Tag am Strand verbracht haben. Um diese Jahreszeit ist auf der Insel nichts los. Es ist der friedlichste Ort auf der Welt – und es hat etwas Spirituelles. Außerdem kann er dort so viel und so ungestört trauern, wie er will.«
    »Er weiß nicht, was er will. Er ist wie gelähmt vor Schmerz.«
    Ich sagte fast eine Minute lang nichts. »Ich weiß genau, wie er sich fühlt, Mercer. Sag ihm, dass ich ihm bei dieser einen Sache helfen kann.«
    Mercer und Mike wussten von Adam Nyman, meinem Verlobten, der am Tag vor unserer Hochzeit auf der Fahrt nach Martha’s Vineyard bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.
    »Ja, aber –«
    »Ich kann über Boston fliegen und am frühen Nachmittag dort sein. Ich soll heute sowieso nicht arbeiten. Es wäre auch für mich die perfekte Medizin.«
    »Kann sein, dass er sich weigert, Alex. Ich kann es nur versuchen.«
    Als Dr. Schrem mit meinen Entlassungspapieren kam, hatte ich mich bereits angezogen. »Nehmen Sie sich ein paar Tage frei«, sagte er. »Bettruhe, viel Flüssigkeit, Schmerzmittel nur, wenn es wirklich nicht anders geht. Fahren Sie direkt nach Hause?«
    »Auf dem schnellsten Weg«, sagte ich. Er wusste nicht, dass »nach Hause« für mich »nach Martha’s Vineyard« bedeutete.
    Officer McCallion hatte Anweisung, mir einen Streifenwagen zu rufen, der mich zu meiner Wohnung brachte. Auf dem Weg dorthin rief Mercer an. Mike hatte zugestimmt, dass ihm eine Auszeit auf meinem abgeschiedenen Hügel in Chilmark vielleicht dabei half, die Tragödie mit Val zu verarbeiten.
    Daheim schlüpfte ich in Jeans und Sweatshirt, nahm etwas Bargeld, meinen Ausweis und eine Kreditkarte aus der Kommode und ließ mich von einem Fahrdienst zum LaGuardia-Flughafen bringen. Ich schaffte den 10:30-Uhr-Flug nach Boston und saß mittags in einer neunsitzigen Cape-Air-Maschine, die außer mir nur noch zwei andere Passagiere beförderte. Der Gegenwind rüttelte und schüttelte das zweimotorige Propellerflugzeug über der tief hängenden Wolkendecke, sodass wir fast fünfzig Minuten für die kurze Strecke brauchten.
    Im Gegensatz zum Sommer, wo Dutzende von Minibussen die Pendlermassen empfingen, wartete jetzt im Februar nur ein einsames Taxi auf Flüge aus Boston, New Bedford und Hyannis. Der Fahrer ließ mich unterwegs am Supermarkt aussteigen und fuhr mich dann zu meinem Haus, das zehn Meilen weiter östlich im schönsten Teil der ruhigen Insel lag.
    Mercer hörte das Auto und kam mir entgegen.
    »Wo ist Mike?«
    »Er kann nicht stillsitzen. Ich glaube, er ist zu den Klippen gefahren. Außer dem zwanzigminütigen Nickerchen, als wir heute Vormittag getankt haben, hat er noch immer nicht geschlafen.«
    Von den an der Westspitze der Insel gelegenen roten Klippen von Aquinnah hatte man die herrlichste Aussicht auf den Punkt, wo der Atlantik auf den Vineyard Sound traf. Die alte Heimat der Wampanoag-Indianer, das weite Land und die scheinbar endlosen Dünen erstreckten sich bis zum Horizont. Ich wusste, dass Mike wahrscheinlich die Warnschilder ignorieren und auf die brüchigen Lehmfelsen hinaufklettern würde, um sich hinzusetzen und mit Val zu reden.
    »Lass uns nach drinnen gehen. Es ist schrecklich windig«, sagte ich. »Weiß Vickee Bescheid? Ist es ihr recht, dass du hier bist?«
    »Musst du da fragen? Was immer Mike braucht – das ist meine Order.«
    »Ich räume nur schnell meine Sachen weg. Ich bin in fünf Minuten wieder da.«
    Ich zog die Schlafzimmertür hinter mir zu und durchquerte den Raum, um die Aussicht zu genießen. Durch die französischen Fenster sah man auf

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