Im Saal der Toten
hast gehört, was Teddy gesagt hat. Sie hat eine schlechte Erfahrung gemacht mit einem Wahnsinnigen, den sie in der Therapie kennen lernte. Vor ungefähr zwanzig Jahren. Nur ein Wahnsinniger hätte eine junge Frau lebendig begraben. So wie es Poe beschrieben hat, und noch dazu im Keller des Hauses, in dem er gewohnt hat.«
»Jetzt siehst du grüne Männchen, Coop.«
»Der Typ liest in der Zeitung von dem Skelettfund. In der gleichen Ausgabe steht, dass der Seidenstrumpfvergewaltiger wieder sein Unwesen treibt. Emily stellte irgendwie eine Gefahr für ihn dar«, sagte ich, »also hat er sie umgebracht. Für mich ergibt das sehr wohl einen Sinn.«
»Was sollen wir also deiner Meinung nach tun? Warte, ich weiß schon! Wir buddeln jedes Fundament in New York City auf. Denkst du, dass überall in der Stadt Knochen vergraben sind? Oder dass dieser Irre nur alle fünfundzwanzig Jahre aus der Versenkung auftaucht und jemanden umbringt? Ein bisschen ungewöhnlich für einen Serienmörder, oder?«
»Schnapp den Typen und du schlägst zwei Fliegen mit einer Klappe.«
Mike schmierte Frischkäse auf seine Bagelhälfte. »Dieser Bagel ist steinhart. Was Besseres konntest du mir nicht besorgen?«
»Ich glaube, dass Alex Recht hat«, sagte Mercer.
»Ach, komm schon! Glaubst du wirklich, der Polizeipräsident wird sich auf solche Spekulationen einlassen? Erzähl bloß nicht, dass sie Alexandra Coopers Hirn entfleucht sind. Wenn sich herumspricht, dass du auf Blondie hörst, schickt man dich wahrscheinlich wieder auf Streife.«
»Der Boss steckt so oder so in der Scheiße. Wenn wir alle im Glauben lassen, dass dieser Mord Sache der Taskforce ist, dann gibt uns das mehr Spielraum, den Fall in Ruhe zu bearbeiten«, sagte Mercer. »Der Mörder wird denken, dass er uns reingelegt hat.«
»Stört es euch, wenn ich den auch noch esse?« Mike nahm den Bagel, den Teddy Kroon nicht angerührt hatte. »Ich hasse es, wenn Mercer sich auf deine Seite schlägt. Noch dazu wegen irgend so eines lächerlichen literarischen Gefühls! Da vergeht mir ja fast der Appetit.«
»Es ist nicht nur ein Gefühl.«
»Was dann?« Wir sahen beide zu Mercer. Sein Stuhl war gegen die Wand gekippt, aber er stand mit beiden Füßen fest auf dem Boden.
»Die Zähne. Die Zähne des Skeletts«, sagte er.
»Was meinst du damit?«
»Na ja, laut Andy Dorfman wäre die Frau heute ungefähr so alt wie Emily Upshaw – dreiundvierzig. Und ihre Zähne deuten darauf hin, dass sie in den letzten Jahren vor ihrem Tod Drogen- oder Alkoholprobleme hatte und deshalb nicht zum Arzt oder Zahnarzt ging.«
»Ihr zwei macht mir langsam Angst«, sagte Mike.
Mercer ließ sich nicht beirren. »Wie wir wissen, hat Emily Upshaw damals auch gern ein bisschen zu tief ins Glas geschaut. Vielleicht haben sie und die Skelettlady sich in denselben Kreisen bewegt.«
»Das könnte genauso gut auf ein Viertel der Bevölkerung jeder beliebigen Großstadt zutreffen. Drogen, Alkohol, Leute, die Schiss vorm Zahnarzt haben. Ihr beide zieht da voreilige Schlüsse, die mir ziemlich absurd erscheinen.«
Ich sah auf meine Uhr und gähnte. »Was meint ihr? Sollen wir uns am Montag weiter darüber unterhalten, wenn du Emilys Autopsiebericht hast? Mercer und ich müssen noch mal vor die Grand Jury und unsere John-Doe-Anklage einreichen. Und, Mike, kann ich dich um einen Gefallen bitten? Kein Wort an die Presse.«
»Nimmermehr, Blondie, nimmermehr.«
Die Dienststelle des neunzehnten Reviers lag nur ein paar Straßen von meiner Wohnung entfernt. Es dämmerte schon, als ich an diesem vorletzten Januartag gegen sieben Uhr durch den mittlerweile schwarzgrauen Schnee nach Hause ging. Müllautos, die bergeweise grüne Müllsäcke schluckten, blockierten die Seitenstraßen, und Taxifahrer hupten, als ich die Third Avenue verkehrswidrig zwischen zwei Fußgängerampeln überquerte. Die in ihren langen Uniformmänteln, Mützen und Handschuhen vermummten Portiers öffneten mir widerwillig die Tür. Ich nahm die Sonntagszeitung von meiner Fußmatte, ging in meine Wohnung, zog mich aus und schlüpfte unter die Bettdecke.
Ich schlief bis Mittag. Nachdem ich Battaglia angerufen hatte, um ihn über den Mord an Emily Upshaw in Kenntnis zu setzen und ihn vorzuwarnen, dass er unter Umständen auf das Konto des Seidenstrumpfvergewaltigers ging, verbrachte ich den Rest des Tages damit zu faulenzen, Zeitung zu lesen, Freunde und Verwandte anzurufen, E-Mails zu schreiben und meine Schränke aufzuräumen, deren
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