Im Saal der Toten
Lücken mich ständig an die Trennung von Jake erinnerten.
Am Montagmorgen schneite es, und ich fuhr mit dem Taxi ins Büro. Als Erstes setzte ich die Anklage gegen den Seidenstrumpfvergewaltiger auf, damit Laura sie tippen, vom Obmann der Grand Jury unterschreiben lassen und bei Gericht einreichen konnte. Danach kam Brenda Whitney, die Leiterin der Presseabteilung, in mein Büro, um mit mir Battaglias Pressemitteilung vorzubereiten. Da noch keine Verhaftung stattgefunden hatte, musste ich ein Entsiegelungsgesuch einreichen, um die Neuigkeiten publik machen zu dürfen. Den erforderlichen Papierkram zu erledigen, war genauso Zeit raubend wie die Prozessvorbereitung.
Kurz nach zehn klopfte Alan Vandomir an meine Tür. »Haben Sie Zeit für einen Problemfall?«
»Noch einen?«
»Nicht ganz so schlimm wie das, womit Sie sich am Wochenende herumgeschlagen haben.« Vandomir war einer der besten Detectives im Sonderdezernat für Sexualverbrechen, ich arbeitete gern mit ihm zusammen. »Ich hätte gern, dass Sie sich die Geschichte anhören – ich beeil mich auch.«
»Dann her damit.«
Er ging hinaus und kam mit einem jungen Mädchen zurück, das einen lavendelfarbenen Velourstrainingsanzug trug und rote Lakritzestangen kaute. Vandomir signalisierte ihr, vor meinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Dann setzte er sich neben sie, stellte uns vor und bat sie, ihren Fall zu schildern.
Die siebzehnjährige Darcy Hallin ging auf Staten Island in die Highschool und war seit ein paar Monaten mit einem Mitschüler befreundet. Sie war groß, gut gebaut und hatte blondes Kraushaar. Sie beschrieb ihre sexuelle Beziehung in allen Einzelheiten und versicherte mir, dass sie und ihr Freund geschützten Sex hatten. Meistens jedenfalls.
»Letzten Monat habe ich meine Tage nicht bekommen, und dann wurde mir schlecht, und als ich meinem Freund davon erzählt habe, hat er gesagt, dass er einen Onkel hat, der das Problem lösen kann.«
»Auf welche Art und Weise?«
»Er ist Arzt. Er würde sich – Sie wissen schon – darum kümmern. Also bin ich am Freitag in seine Praxis gegangen.«
»Wo? In Manhattan?« Ich musste sichergehen, dass sich der Vorfall auch wirklich in meinem Zuständigkeitsbereich zugetragen hatte.
»Ja. Aber ich weiß die Straße nicht mehr. Irgendwo in Midtown. Stimmt’s?« Sie lächelte Vandomir an und wartete, bis er zustimmte.
»Was ist in seiner Praxis passiert?«
»Zuerst hat er mir gesagt, dass ich mich ausziehen soll.«
»War außer ihm noch eine Krankenschwester oder eine Sprechstundenhilfe im Raum?«
»Nein, nur Dr. Foster und ich.«
»Hat er Ihnen einen Kittel gegeben?«
»Nein. Er hat gesagt, dass ich mich ganz ausziehen und meine Sachen auf einen Stuhl legen soll.«
»Sind Sie schon einmal gynäkologisch untersucht worden?«
»Nein.«
»Wusste das der Arzt?«
Sie nickte. »Er hat mich gefragt, wann ich meine letzte Untersuchung hatte, und ich habe ihm gesagt, dass es meine erste ist.«
In dem Fall konnte das Mädchen natürlich nicht wissen, wie solche Untersuchungen normalerweise abliefen. Es war die perfekte Gelegenheit für jemanden, ihre Unwissenheit auszunutzen.
»Was hat Dr. Foster als Nächstes getan?«
»Zuerst hat er gesagt, dass er meine Brüste untersuchen muss.«
»Wie hat er das gemacht?«
»So als würde er mich betatschen – so ist es mir jedenfalls vorgekommen.«
»Können Sie uns sagen, wo und wie er Sie berührt hat?«
Darcy demonstrierte uns, wie der Arzt ihre Brüste abgetastet hatte. Seine Berührungen und Bewegungen hatten nichts mit einer richtigen ärztlichen Untersuchung gemein. Ebenso wenig wie seine wiederholten Fragen, ob es sich gut anfühlte, wenn er sie berührte.
»Was geschah dann?«
»Ich musste mich hinlegen, und er steckte mir seine Finger rein. Er berührte mich komisch und stocherte mit irgendeinem Instrument, das ich nicht sehen konnte, in mir herum, und da klopfte der Mann an die Tür.«
»Welcher Mann? Wie hat er sie berührt? Langsam, Darcy. Eins nach dem anderen.«
»Es klopfte an der Tür, und Dr. Foster wurde plötzlich total nervös. Er sagte, ich solle mich anziehen, und dann fing er an, alle seine Gerätschaften in seine Tasche zu werfen.«
»Ist der andere Mann ins Zimmer gekommen?«
»Nein. Er rief immer wieder ›Pierre, Pierre, mach auf‹. Aber das hat er nicht getan. Nicht sofort. Erst nachdem er mir gedroht hat.«
»Was hat er gesagt?«
»›Wenn du irgendjemandem davon erzählst, dann krieg ich dich. Ich weiß, wo ich dich
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