Im Saal der Toten
müssen mindestens sechs Stunden anwesend sein. Ich glaube, bei einigen ist jetzt schon die Luft raus.«
»Aber warum das Bronx Community College?«, fragte ich.
»Eine der NYU vergleichbare Institution wollte nichts von mir wissen, und meine ganze Familie wohnt in der Gegend. Ich wollte nicht von hier weg. Ich ging davon aus, dass ich eine Zeit lang Buße tun würde und mich dann wieder in ein besseres akademisches Umfeld hocharbeiten könne.« Tormey wirkte peinlich berührt. »Es ist mir nur nie gelungen.«
»Ich würde Ihnen gerne ein paar Namen nennen, und Sie sagen mir, was Ihnen dazu einfällt. Wären Sie damit einverstanden, Professor?«, fragte Mike.
Ein Zucken. »Sicher, wenn Ihnen das weiterhilft.«
»Guidi. Gino Guidi.«
Tormey schüttelte den Kopf.
»Ichiko. Dr. Wo-Jin Ichiko.«
Tormeys Mundwinkel zuckten nervös. »Der Name kommt mir bekannt vor.«
»Wie das? Kennen Sie ihn?«
»Ist das nicht der Mann, dessen Leiche man gestern Nacht aus dem Fluss gefischt hat? Ich habe es heute früh in den Nachrichten gehört.«
»Haben Sie ihn gekannt? Beantworten Sie meine Frage«, sagte Mike.
»Nein, habe ich nicht.«
»Haben Sie gestern unterrichtet, Professor?«
»Nein. Ich unterrichte montags, mittwochs und freitags. Gestern Nachmittag war ich zu Hause.«
»Allein?«
»Ich befürchte ja. Meine Frau war weitaus weniger tolerant als die Institutsleitung an der NYU. Sie hat mich bereits nach meiner ersten Affäre mit einer Studentin verlassen.«
»Wie steht’s mit dem Namen Emily Upshaw?«
Sein Mundwinkel zuckte wie wild. »Das habe ich auch in den Nachrichten gesehen. Welch ein tragischer Fall. Ja, ich kannte Emily.«
»Intim?«
»Nein, Mr Chapman. Emily war eine meiner Studentinnen. Das muss, große Güte, fünfundzwanzig Jahre her sein. Sie war sehr intelligent, aber sie hatte mehr Probleme als ein Mädchen in dem Alter haben sollte. Nein, nein – zwischen uns lief nichts. Wir kannten uns nicht einmal sehr gut.«
Mike beugte sich vor und sah Tormey in die Augen. »Wie oft in Ihrem Leben haben Sie für jemanden vor Gericht Kaution hinterlegt?«
»Was meinen Sie damit?«
»Die Anzeige gegen Emily Upshaw. In den Gerichtsunterlagen steht, dass Sie die Kaution für sie hinterlegt haben.«
Tormey richtete sich auf und tippte nachdenklich mit den Fingern auf den Schreibtisch. »Das habe ich tatsächlich vergessen.«
»So wie ich vergessen habe, dass Mariano Rivera 2001 im letzten Spiel der World Series gegen die Diamondbacks die Saves vermasselt hat. Erzählen Sie das Ihrer Großmutter. Ihre Lippe schlägt aus wie eine Sieben auf der Richterskala.«
»Einige Dinge entziehen sich meiner Kontrolle, Detective. Sie müssen sich nicht über mich –«
»Aber Sie glauben, kontrollieren zu können, was Sie mir sagen, hm? Denken Sie einen Augenblick nach. Hatten Sie sonst noch mal mit dem Gericht zu tun?«
Tormey schüttelte den Kopf.
»So etwas vergisst man normalerweise nicht. Hat sie die Hemden für Sie geklaut?«
»Natürlich nicht.«
»Emily Upshaw hatte einen Anruf frei, und sie bat Sie um Hilfe. Warum?«
Er sprach leise. »Ich glaube, sie vertraute mir. Sie hatte als meine Hilfskraft gearbeitet und viel Zeit in meinem Büro verbracht. Ich versuchte, sie zu überzeugen, dass sie das Zeug zu einer guten Schriftstellerin hätte, wenn sie nur endlich ihre Finger vom Alkohol und den Drogen lassen würde.«
»Und zwischen Ihnen lief nichts?«
»Zu dem Zeitpunkt war ich noch glücklich verheiratet, Mr Chapman. Ich war dreißig Jahre alt, hatte eine Frau und zwei kleine Kinder. Damals war ich noch nicht auf Schwierigkeiten aus.«
»Erzählen Sie mir von den Recherchearbeiten, die Emily für Sie erledigt hat«, sagte ich. »Woran haben Sie gearbeitet?«
»Samuel Taylor Coleridge. Nicht sehr prickelnd, Miss Cooper.«
»Wir standen gerade im Flur und haben Ihre Vorlesung gehört.«
»Ich habe drei Bücher und weiß Gott wie viele wissenschaftliche Aufsätze über ihn verfasst.« Tormey sah auf seine Uhr. »Dauert es noch länger, Detective?«
»Warum? Haben Sie einen Termin?«
»Ich muss um elf Uhr draußen eine kleine Zeremonie abhalten.«
»Eine Zeremonie? Wir sind hier, um uns mit Ihnen über Mord zu unterhalten!«
Tormey sah mich Hilfe suchend an. »Ich habe nicht vor zu flüchten, Miss Cooper. Ich werde in einer halben Stunde wieder hier sein.« Er nahm die drei langstieligen Rosen, als würden sie eine Erklärung liefern. »Sie können gern mitkommen. Ich muss nur die hier bei Poes
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