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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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seinen Papierschnipsel auf seinen leeren Teller. »Schlechte Nachrichten verbreiten sich schneller als ein Lauffeuer.«
    »Ich dachte immer, mein Trinkgeld wäre hoch genug, damit Patrick uns gute Vorhersagen gibt.« Patrick war unser Lieblingskellner bei Shun Lee . »Die sind so düster wie der Wetterbericht für die kommende Woche. Ich kümmere mich schon ums Geschirr. Fahrt ihr ruhig nach Hause.«
     
    Um sieben Uhr klingelte der Wecker und sofort darauf das Telefon. »Schon wach?« Es war Joan Stafford, eine meiner besten Freundinnen, die aus Washington anrief.
    »Na ja, ich bin noch am Überlegen. Es ist zu kalt und grau, um aus dem Bett zu kriechen.«
    »Was machst du nächstes Wochenende?«
    »Ich stecke mitten in einer schwierigen Ermittlung. Das kann –«
    »Nicht kommendes. Das Wochenende darauf.«
    »Ich weiß nicht, wie sich die Sache entwickelt, Joanie. In nächster Zeit kann ich wahrscheinlich hier nicht weg.«
    »Das brauchst du auch nicht. Wir kommen zu dir.« Trotz ihrer Verlobung mit einem außenpolitischen Kolumnisten in Washington hatte Joan ihre New Yorker Wohnung behalten. »Ich möchte, dass du jemanden kennen lernst.«
    Ich stöhnte und warf die Bettdecke zurück. »Komm mir bloß mit keinem Journalisten mehr. Und deine Diplomaten können mir auch gestohlen bleiben. Ich rede nicht mehr mit einem Mann mit einem gültigen Reisepass. Für mich kommt nur noch ein eingefleischter New Yorker in Frage.«
    »Dann ist er der Richtige. Den Gefallen musst du mir tun, Alex. Nur dieses eine Mal. Es ist ja nur ein Abend – ich bitte dich schließlich nicht, ihn zu heiraten. Such ein Restaurant für ein ruhiges Abendessen zu viert aus.«
    »Vielleicht in zwei Wochen, wenn ich mehr Zeit habe.« Ich wollte ihre gut gemeinten Verkupplungsabsichten hinauszögern. »Was macht ihr zwei am Valentinstag?«
    »Wir werden in New York sein. Ich habe einen Tisch bei der Museumsgala reserviert.«
    »Da komme ich gern mit.« Auf einer Gruppenveranstaltung konnte ich mich abseilen; das wäre unverbindlicher als ein intimes Dinner zu viert. »Chapman hat eine Wette abgeschlossen, dass ich am Valentinstag kein Date bekomme.«
    »In Ordnung. Ich werde versuchen, es für den vierzehnten zu arrangieren.«
    »Wer ist es, Joanie?«
    »Keine Namen. Du wirst dich bei niemandem über ihn erkundigen. Er ist Schriftsteller. Er war letzten Monat auf einer meiner Lesungen, Jim und ich haben ihn schon drei Mal zum Essen eingeladen. Er wäre perfekt für dich. Allein stehend, keine berufliche Konkurrenz, sehr attraktiv.«
    »Vorausgesetzt, dass meine Fälle bis dahin aufgeklärt sind. Aber für den Fall, dass Chapman dich fragt, sag ihm, dass ich die Einladung mit Handkuss angenommen habe.«
    Ich duschte, zog mich warm an und las die Zeitung, bis mir der Portier über den Summer verkündete, dass Mike in der Auffahrt auf mich wartete. Auf der Fahrt den Major Deegan Expressway hinauf zur Ausfahrt an der 183. Straße West schlürften wir Kaffee, und Mike erzählte mir von dem alten NYU-Campus Uptown. Man hatte das Grundstück Ende der neunziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts gekauft und den großartigen Architekten Stanford White beauftragt, darauf einen prächtigen Beaux-Arts-Komplex zu errichten.
    An dem behelfsmäßigen Wachhäuschen dirigierte uns eine junge Frau zum Verwaltungsgebäude. Schon von weitem konnte ich die monumentale, mit grüner Kupferpatina überzogene Kuppel der Gould Memorial Library sehen, die dem Pantheon in Rom nachempfunden war.
    Vor dem Eingang zur Bibliothek wies uns ein Wachposten einen Parkplatz auf der anderen Seite der Treppe zu. Mike beschloss, den Polizeiparkausweis nicht aufs Armaturenbrett zu legen, da es noch keinen Grund gab, auf dem kleinen Campus unsere Anwesenheit publik zu machen.
    In der großen alten Halle herrschte geschäftiges Treiben. Ein kalter Wind fegte über den Campus und trieb die Studenten nach drinnen. Die massiven Innensäulen aus grünem Connemara-Marmor, die bunten Tiffanyfenster und die mit vierzehnkarätigem Blattgold ausgekleidete Kassettenkuppel bildeten einen auffälligen Kontrast zu der unterprivilegierten Bevölkerungsschicht, die jetzt hier studierte.
    In einem kaputten Glaskasten war eine Liste des Lehrkörpers und eine Karte des Campus an die Wand getackert. Noah Tormey war als Dozent im Anglistischen Seminar aufgeführt und hatte sein Büro im zweiten Stock der alten Bibliothek.
    »Wie willst du vorgehen?«, fragte ich, während wir durch das dunkle Treppenhaus nach

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