Im Schatten der Akazie
Honigkuchen.
»Wenn du mir zu so später Stunde einen Besuch abstattest, verheißt das nichts Gutes«, sagte er zu Serramanna.
»Du irrst. Ich bin vielleicht auf einer lohnenden Fährte, habe aber noch nichts unternommen.«
Ameni war erstaunt.
»Sollte der Gott Thot dich etwa unter den Schutz seiner Ibisschwingen genommen haben und dir ein wenig Weisheit zufächeln? Du hast recht getan, Serramanna. Bei der Achtung vor anderen versteht der Wesir keinen Spaß.«
»Es geht um einen reichen Phönizier, einen gewissen Narish, der ein großes, vornehmes Haus bewohnt. Er hat sich mehrmals zur Herrin Tanit begeben.«
»Höflichkeitsbesuche unter Landsleuten.«
»Narish wußte nicht, daß Tanit und Uriteschup sich im Gefolge der Königin auf einer Reise befanden. Seit ihrer 325
Rückkehr ist er nur einmal gekommen, mitten in der Nacht.«
»Läßt du etwa Tanits Wohnsitz ohne Genehmigung überwachen?«
»Aber nein, Ameni, wo denkst du hin! Ich verdanke diese Hinweise einem Nachtwächter, der für die Sicherheit in diesem Viertel zuständig ist.«
»Nicht nur, daß du mich für einen Dummkopf hältst, du willst mir auch noch etwas vormachen. Das ist ja ein ganz neuer Serramanna …«
Der Schreiber hörte auf zu essen.
»Du verdirbst mir den Appetit.«
»Habe ich einen Fehler begangen?« fragte der Sarde besorgt.
»Nein, deine Darstellung der Dinge ist recht geschickt und mag so hingehen … Was mich beunruhigt, ist der Name Narish.«
»Er ist ein wohlhabender und sicher einflußreicher Mann, aber weshalb sollte er der Gerechtigkeit entwischen?«
»Er ist einflußreicher, als du denkst! Narish ist ein Kaufmann aus der Stadt Tyros und damit betraut, gemeinsam mit unserem Amt für die Beziehungen zu den Fremdländern den Besuch des Königs in Phönizien vorzubereiten.«
»Das ist eine Falle!« ereiferte sich der Sarde. »Narish steht in Verbindung mit Uriteschup.«
»Er betreibt Geschäfte mit seiner Landsmännin, der Herrin Tanit, die selbst eine reiche Händlerin ist. Nichts beweist, daß er mit dem Hethiter im Bunde steht.«
»Stellen wir uns doch nicht blind, Ameni!«
»Ich befinde mich in einer schwierigen Lage. Nach mehreren Monaten in Nubien, in denen er Setaous neue Befugnisse abgesichert hat, wendet sich Ramses wieder unseren Schutzgebieten im Norden und den Ländern zu, mit denen wir Handel treiben. Unsere Beziehungen zu Phönizien sind ein 326
wenig zu locker geworden, deshalb hat er beschlossen, sie durch einen förmlichen Besuch wieder etwas enger zu knüpfen.
Du kennst ja den König: Die Gefahr eines Anschlags auf sein Leben wird ihn nicht davon abhalten.«
»Wir müssen die Ermittlungen weiterführen und beweisen, daß Narish und Uriteschup Spießgesellen sind.«
»Dachtest du vielleicht, wir würden die Hände in den Schoß legen?«
Die Wasser des Nils spiegelten das Gold der untergehenden Sonne wider. Bei Reichen wie Armen wurde das abendliche Mahl zubereitet. Die Seelen der Toten kehrten, nachdem sie mit dem Tagesgestirn gesegelt waren und sich an seiner Kraft gestärkt hatten, in ihre Häuser für die Ewigkeit zurück, um sich dort in einer anderen Form von Kraft zu erneuern, im Schweigen.
Dennoch blieben die für die Bewachung der sehr weitläufigen Totenstadt von Sakkara eingesetzten Hunde an diesem Abend auf der Hut, denn in ihr weilten zwei Besucher von hohem Rang: Ramses der Große und sein Sohn Kha, der von ungewöhnlicher Erregung ergriffen war.
»Wie freue ich mich, dich in Sakkara empfangen zu dürfen, Majestät!«
»Hast du deine Arbeiten zu einem guten Ende geführt und das Buch des Thot entdeckt?«
»Die meisten alten Bauwerke sind wieder instand gesetzt, wir stehen im Begriff, letzte Hand an sie zu legen. Was das Buch des Thot betrifft, bin ich vielleicht auf gutem Weg, es Seite für Seite wiederherzustellen, und es ist just eine von ihnen, die ich dir gerne zeigen möchte. Während deines langen Aufenthaltes in Nubien haben Baumeister und Handwerker des Gottes Thot unermüdlich gearbeitet.«
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Die Freude seines Sohnes erfüllte Ramses mit großer Zufriedenheit: Nur selten hatte er ihn so glücklich gesehen.
Die von Imhotep für König Djoser errichtete Urform einer Pyramide beherrschte das ausgedehnte Gelände von Sakkara.
Sie war das erste Bauwerk aus behauenen Steinen, und ihre Stufen bildeten eine Treppe in den Himmel. Doch Kha führte seinen Vater nicht zu diesem großartigen Grabmal, sondern folgte einem ganz neuen Pfad, der in engen Biegungen im
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