Im Schatten der Akazie
deinem Vorhaben gewiß nicht entsagen wirst, Majestät, werde ich so viele Vorkehrungen für deine Sicherheit treffen wie nur möglich. Aber ist es wirklich unerläßlich, daß du dich nach Tyros begibst? Unsere Handelsvertreter sind doch imstande, so manche Schwierigkeiten auszuräumen.«
»Solltest du etwa die Bedeutung meines Vorhabens unterschätzen?«
»Du hegst also eine noch verborgene Absicht.«
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»Klugheit ist eine ermutigende Tugend, Ameni.«
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SIEBENUNDVIERZIG
RITESCHUP STAND SPÄT auf und nahm sein
M
U orgenmahl im Garten ein, in der Sonne.
»Wo ist meine Frau?« fragte er den Verwalter des Hauses.
»Die Herrin geht in der Stadt Geschäften nach.«
Das gefiel dem Hethiter nicht. Warum hatte ihm Tanit davon nichts erzählt? Kurz nachdem sie zurückgekehrt war und sich ausruhen wollte, stellte er sie zur Rede.
»Woher kommst du?«
»Von Zeit zu Zeit muß ich mich auch um meine Geschäfte kümmern.«
»Mit wem hast du dich getroffen?«
»Mit einem reichen Landsmann.«
»Sein Name?«
»Bist du etwa eifersüchtig, Liebster?«
Uriteschup versetzte Tanit eine Ohrfeige.
»Mach dir bloß keinen Spaß daraus, mich herauszufordern, und antworte, wenn ich dich etwas frage!«
»Du … du hast mir weh getan.«
»Sein Name!«
»Narish. Er möchte den Warenaustausch mit Ägypten steigern und wirkt sogar als Mittelsmann bei den Vorbereitungen für Ramses’ bevorstehende Reise nach Phönizien mit.«
Nun drückte ihr Uriteschup einen Kuß auf die Lippen.
»Das ist ja sehr spannend, mein Schätzchen … Du hättest mir das gleich sagen sollen, ohne zuvor auf törichte Weise meinen Argwohn zu wecken. Wann siehst du Narish wieder?«
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»Wir haben einen Handel abgeschlossen, und ich …«
»Laß dir ein neues Geschäft einfallen und entlocke ihm so viele Einzelheiten wie möglich über diese Reise. Bei deiner Verführungskunst wird dir das ohne Mühe gelingen.«
Tanit wollte aufbegehren, doch Uriteschup legte sich auf sie.
Wie verzaubert ergab sich die schöne Phönizierin; gegen die Begierde ihres Geliebten anzukämpfen war ihr unmöglich.
»Alle Gastmähler sind abgesagt worden«, berichtete Tanit, die ihre Hände der Sorgfalt einer Handpflegerin anvertraut hatte.
»Weshalb?« fragte Uriteschup.
»Der Stier Apis ist gestorben, und während der Trauerzeit darf keine Festlichkeit stattfinden.«
»Ein lächerlicher Brauch!«
»Nicht für die Ägypter.«
Tanit entließ die Handpflegerin.
»Dabei steht sogar die Macht des Pharaos auf dem Spiel«, erklärte die Phönizierin. »Er muß den Stier finden, in dessen Leib Apis wiedergeboren ist, sonst sinkt sein Ansehen.«
»Das wird Ramses ja nicht schwerfallen.«
»Die Sache ist nicht so einfach, denn das Tier muß bestimmte Merkmale aufweisen.«
»Welche?«
»Da mußt du einen Priester fragen, der sich im Apis-Kult auskennt.«
»Sorge dafür, daß wir zur Beisetzung eingeladen werden!«
Die Priester hatten den Leichnam des in seinem Gehege im Tempel von Memphis verstorbenen Apis-Stiers im »reinen Saal« aufgebahrt, wo für ihn, wie für einen osirischen Menschen, eine Totenwache abgehalten wurde, an der auch Ramses und Kha teilnahmen. Dabei wurden die 333
Beschwörungsformeln für seine Wiedergeburt gesprochen. Der Apis, die magische Kraft des Ptah, des Schutzgottes der Baumeister, mußte mit der Hochachtung behandelt werden, die seiner Stellung gebührte.
Nach der Einbalsamierung wurde der Apis auf einem stabilen hölzernen Schlitten zum königlichen Schiff befördert, das ihn auf das andere Ufer des Nils übersetzte, wo ihn ein feierlicher Zug in die Totenstadt von Sakkara und in das unterirdische Grabgewölbe der Stiere geleitete.
Ramses erweckte ihn im »Goldsaal« zu neuem Leben, indem er ihm Mund, Augen und Ohren öffnete. Weder Uriteschup noch Tanit war gestattet worden, diesen geheimnisvollen Riten beizuwohnen, doch es gelang ihnen, einen geschwätzigen Priester, der nur allzugern sein Wissen ausbreitete, zum Reden zu bringen.
»Um ein Apis zu werden, muß der Stier ein schwarzes Fell mit weißen Flecken haben: ein Dreieck auf der Stirn, eine Mondsichel auf der Brust und eine weitere auf dem Rücken, und der Schwanz muß sowohl schwarze als auch weiße Haare haben.«
»Genügen viele Tiere diesen Anforderungen?« erkundigte sich der Hethiter.
»Nein, es gibt nur einen einzigen Stier, den die Götter so gezeichnet haben.«
»Und wenn der Pharao ihn nicht findet?«
»Dann verliert er seine Stärke, und
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