Im Schatten der Akazie
Libyer ein Büschel des Dornengestrüpps und zerdrückte es in seiner Faust.
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VIERZIG
ER ANFÜHRER DER nach Ägypten aufgebrochenen K
D arawanen war immer noch fassungslos. Er, ein erfahrener Händler, ein Syrer von achtundfünfzig Jahren, der schon über alle Straßen des Vorderen Orients gezogen war, hatte noch nie einen solchen Schatz gesehen. Mit ihm war er im Nordwesten der arabischen Halbinsel eingetroffen, in einer öden, ausgedörrten Region, wo am Tag glühende Hitze und des Nachts oft eisige Kälte herrschte, ganz zu schweigen von den Schlangen und Skorpionen, die es dort gab. Doch der Ort eignete sich hervorragend für ein geheimes Warenlager. Hier hortete der Syrer seit drei Jahren die den ägyptischen Schatzkammern vorenthaltenen Reichtümer.
Seinen Verbündeten, dem Libyer Malfi und dem Hethiter Uriteschup, hatte er überzeugend versichert, daß die kostbaren und wegen der schlechten Ernten angeblich nur in geringen Mengen gelieferten Güter vernichtet worden seien. Malfi und Uriteschup waren Krieger und keine Händler. Sie wußten nicht, daß ein Kaufmann nie seine Ware opferte.
Der Syrer mit dem schwarzen Haar hatte ein Vollmondgesicht und einen kräftigen Oberkörper, aber kurze Beine. Seit seinen Jugendjahren log und stahl er, vergaß jedoch nie, sich das Schweigen derer zu erkaufen, die ihn bei der Obrigkeit anzeigen könnten.
Als Freund eines anderen Syrers, des Spions Raia, der im Dienste der Hethiter gestanden und einen so jähen Tod gefunden hatte, war es dem Karawanenführer gelungen, im Laufe der Jahre heimlich ein hübsches Vermögen anzusammeln. Aber nahm es sich nicht lächerlich aus angesichts des unglaublichen Schatzes, den er nun in seinem Lager verwahrt hatte?
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Die im Durchschnitt etwa sechs Ellen hohen Weihrauchbäume Arabiens hatten so überreiche Erträge abgeworfen, daß man vorübergehend zweimal mehr Arbeiter als sonst hatte einstellen müssen. Die dunkelgrünen Blätter und die goldgelben, in der Mitte purpurfarbenen Blüten waren nur die Zierde der prächtigen braunen Stämme. Wurde ihre Rinde eingeschnitten, dann quoll Harz heraus, das hart wurde und beim Verbrennen wundervolle Düfte verströmte.
Und was sollte der syrische Kaufmann erst zu der unvorstellbaren Menge von Olibanum sagen! Dieses helle, milchige und wohlriechende Harz war in einem Übermaß geflossen, daß es dem goldenen Zeitalter alle Ehre gemacht hätte. Der Anblick der fest gewordenen, birnenförmigen Tröpfchen, die weiß, grau oder gelblich waren, trieb dem Händler Freudentränen in die Augen. Er kannte die zahlreichen guten Eigenschaften dieses kostbaren und begehrten Mittels. Es tötete die Erreger mancher Krankheiten ab, hemmte Entzündungen und linderte Schmerzen. Die ägyptischen Ärzte verwendeten es für Salben und Wundverbände, als Pulver oder sogar in Getränken, um damit Geschwülste und Geschwüre sowie Entzündungen der Augen oder Ohren zu bekämpfen.
Olibanum stillte Blutungen, beschleunigte das Vernarben von Wunden und wirkte sogar gegen manche Gifte. Neferet, die berühmte Oberste Heilkundige der Beiden Länder, würde das unverzichtbare Olibanum mit Gold bezahlen.
Und dazu noch das grüne Gummiharz Galbanum, das dunkle Räucherharz Ladanum, das zähflüssige Öl des Balsamstrauchs und die Myrrhe … Der Syrer war außer sich vor Entzücken.
Welcher Händler hätte je geglaubt, eines Tages ein solches Vermögen zu besitzen?
Gleichwohl hatte er es nicht unterlassen, einen Köder für seine Verbündeten auszulegen, und eine Karawane auf jenen Weg geschickt, auf dem Uriteschup und Malfi ihn erwarteten.
War es falsch gewesen, daß er ihr nur bescheidene Fracht 284
mitgegeben hatte? Leider hatte sich die Kunde von den außerordentlich guten Erträgen bereits herumgesprochen, und es bestand die Gefahr, daß sie dem Hethiter und dem Libyer allzu schnell zu Ohren gekommen sein mochte.
Wie konnte er nur Zeit gewinnen? In zwei Tagen würde er Händler aus Griechenland, Zypern und aus dem Land der Zedern empfangen, denen er den gesamten Bestand seines Warenlagers verkaufen wollte, ehe er nach Kreta floh und sich dort zufrieden zur Ruhe setzte. Zwei endlos lange Tage voller Angst, daß seine gefürchteten Verbündeten auftauchen könnten.
»Ein Hethiter wünscht dich zu sprechen«, meldete ihm einer seiner Diener.
Dem Syrer wurde der Mund trocken, und die Augen brannten ihm. Das war sein Untergang! Mißtrauisch geworden, kam Uriteschup nun und verlangte Erklärungen. Und
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