Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
würde bald aufhören, wenn er sie wieder in seine Arme schloss, wenn er ihr beruhigend ins Ohr flüsterte und sie sein kratziges Kinn spürte, das so viel Vertrauen versprach. So musste sie gedacht haben, denn sie sah ihn unverwandt an, als er sich mit schwarzer Lederhaut, glühenden Augen und dampfenden Hörnern auf dreifache, vierfache, fünffache Größe gewachsen, vor ihr aufbaute und schrecklich brüllte.
Ihr Mund war offen, während Speichel über ihre Lippen tropfte und Tränen aus ihren Augen.
»Papa!«
Er nickte. Das konnte er noch. Er fühlte ihre Angst, denn sie war in ihm. Angst, die stank, wie ein geschlagenes Tier sie ausstieß, ein Wild, dass er geschlagen hatte. Nein, das war nie geschehen. Und doch troff sein Maul bei dem Gedanken, er könne es tun. Jagen und töten! Jenen winzigen Moment des Abschieds in den Augen des Opfers lesen.
NEIN! NIEMALS!
Dies war der Moment, in dem Darius Darken seinen Dämon nicht in die Knie zwang, jedoch beherrschte. So etwas würde er niemals tun – er war keine mordende Kreatur, er war… ja, was war er?
Riousa sprang auf.
Sie lief weg.
So klein sie war, voller Vertrauen, tat sie das, was ihr menschlicher Instinkt ihr befahl.
Sie flüchtete.
Sie lief Richtung Wasser und die Blume fiel aus ihrem Haar. Sie kreischte und ahnte, dass Papa nicht spielte, sondern etwas ganz, ganz grauenvoll Böses dahinter steckte.
Der Dämon sprang ihr hinterher.
Nicht ins Wasser! In die andere Richtung!, grunzte er in einer Sprache, die Riousa nicht verstand.
Sie kreischte und ihre Arme waren wie Windmühlenflügel.
Nicht ins Wasser! Bitte nicht ins Wasser!
Der Dämon schnappte nach ihr, sie wich geschickt aus und das Wasser schlug über ihr zusammen. Sie rutschte aus und versank kopfüber.
Wo war sie? Irgendwo hier musste sie sein?
Der Dämon tastete, suchte und Wasser spritzte um seine Beine.
Hier?
Dort?
Er griff zu und fing sie ein. Es war, als versuche ein Riese, eine Taube zu streicheln. Unter seinen Klauen brachen Knochen.
Riousa gurgelte und kein weiterer Ton kam über ihre Lippen. Sie rang nach Luft. Der Dämon fasste zu, wollte sie aus dem Fluss ziehen, doch nun war er zu sanft und sie rutschte ihm aus den Klauen, ihre blonden Haare lagen wie ein Teppich auf der Wasseroberfläche und der Dämon sah ein letztes Mal diese wunderschönen grünen Kinderaugen, diesen Unglauben darin, dass Papa sie im Stich ließ. Das Kind versank im Fluß und trieb in der heftigen Strömung unter Wasser davon.
Der Dämon stapfte mit großen Schritten hinterher.
RIOUSA!
MEINE TOCHTER!
ES IST NUR EIN TRAUM – NUR EIN TRAUM!
Er brüllte so laut, dass Vögel aus den Bäumen flohen und Vierbeiner sich ins Unterholz schlugen.
Er tobte und hämmerte sich mit den Fäusten auf die Brust. Er wirbelte Wasser auf, suchte und tastete, sank auf die Knie und machte Schwimmbewegungen, bis er sie fand. Sie endlich fand. Er zog sie unter seinem linken Fuß hervor. Er hatte den kleinen Körper nicht gespürt, hatte seine Tochter in den Flussschlamm gedrückt. Den kleinen, zarten, zerschmetterten Körper.
Für einen Moment schwieg Mythenland.
Vögel steckten ihre Köpfe unters Gefieder.
Der Lauf des Flusses hielt an.
Der Wind ruhte sich aus.
Er hob das tote Kind hoch, schüttelte es wie ein Puppe, dann brach es aus ihm heraus und er grollte, heulte und wollte weinen, nur ein paar Tränen weinen, doch es gelang ihm nicht, denn ein Dämon hat keine Tränen.
Auch später, viel später konnte er das nicht, obwohl ihn die Erinnerung bestürzte. Er hatte seine Tochter getötet. Er, Darius Darken! Oder war es der Dämon gewesen?
Es gab keine Entschuldigung.
Riousa war tot!
Danach war Stille.
Eine Leere, die er sich nicht zu erklären versuchte, denn dieses Rätsel war zu viel für ihn.
Er brach zusammen und schlief.
Nicht, weil er schlafen wollte, nicht, um sich in Träumen zu flüchten, sondern weil sein Verstand diese Notbremse zog.
Als er erwachte, hatte sich die Welt, wie er sie kannte, verändert.
Und als wolle das Schicksal ihn durch alle Gebirge und Flüsse menschlicher Erträglichkeiten jagen, war Riousas Tod erst der Auftakt zu einem viel größeren Drama, das ihn letztendlich nach Unterwelt brachte.
2. Kapitel
In Unterwelt, sagte man, hause das Laster, die Dämonen, die Übelgeister, die Visionen grauenhafter Gedanken, Fleisch gewordene Bosheiten und stinkende Wesen, insektengleiche Rachegötter und Gespenster, traumverzehrende Phantome und moderige Spukgestalten, die
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