Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
menschliche Existenz bewahren und die des Riesen gewinnen. Nun erfuhr er, dass beides nicht möglich war. Bei den Göttern, warum hatte er vorher nicht gefragt?
Hätte er sich anders entschieden?
Hätte er sich anders entscheiden können?
Er konzentrierte sich auf das, was neu war und gut und absonderlich. Er erhob sich und brummte, dass das Tal bebte. Er spannte seine Muskeln und musterte seine Arme. Umfangreich wie Baumstämme, haarig und muskulös. Er war ein Gigant. Er konnte tun, was er wollte. Er war mächtig wie ein Gott.
Er war der Versuchung ausgesetzt.
Macht!
Nein, noch immer ging Recht vor Macht! Damit deckten sich seine Gedanken und die von Ronius. Er erinnerte sich, dass ein Sumpfer vor dem Kampf zu ihm gesagt hatte, das sei Unsinn. Mit einer Handvoll Gewalt komme man weiter als mit einem Sack Recht.
Ronius hatte gelacht. Er habe große Hände, hatte er gesagt und den Sumpfer stehen lassen, um den Kampf zu beginnen. Um für fünfhundert Jahre Frieden zu schaffen. Er wurde zum Häuptling gewählt und alle nannten ihn Ron.
Hin und wieder kamen Dichter und Denker, kluge Menschen, in das Tal der Riesen. Sie disputierten, fanden innere Ruhe und tauschten sich mit den Giganten aus. So befruchtete man sich mit Bildung und schuf Wissen. Niemand fragte, wie es den Menschen gelungen war, ins Tal zu kommen, wohingegen es sonst niemandem gelang. Weil niemand darüber nachdenken brauchte.
Sie hatten Symbylle.
Symbylle, die Unendliche.
Symbylle, die schuf.
Also genoss man den Austausch und hatte den Sumpfern, diesen tumben Riesen, etwas voraus. Ron hatte oft darüber gesprochen, ob diese Sichtweise nicht von maßloser Arroganz sprach?! Das würde man niemals ändern können, sagte einer. Der Kluge schaut immer auf den Beschränkten hinab, denn nichts hasst er mehr als Dummheit.
Ron war sich nicht sicher gewesen, ob er dies auch so sehen sollte.
»Deine Gedanken schweifen ab?«, fragte Jamus zu seinen Füßen. Seine Stimme klang leise und schrecklich hell.
»Wieso?«, fuhr Ron auf.
Egg lachte. »Man sieht es dir an. Wessen Gedanken sind es. Deine oder Rons?«
Es waren die von Ron, erkannte Ronius bitter. Sie erkämpften sich den Weg an die trübe Oberfläche seines Denkens wie Perlentaucher, die in einen Unterwassersturm geraten waren. Sie verdrängten Rondrick von Dandoria.
»Werde ich meine Menschlichkeit völlig verlieren?«, fragte Ron traurig. »Werde ich mich bald nicht mehr an meine Existenz als Mensch erinnern können?«
Jamus zuckte mit den Achseln. »Da musst du ihn fragen.«
Talus setzte sich neben Ron. »Mein Häuptling, ich verstehe deine Fragen. Ich weiß es nicht. Was ist so wichtig daran, deine Menschlichkeit zu bewahren?«
Rons Kopf ruckte herum. Er fasste sich ins Gesicht und spürte zwischen seinen Fingern einen mächtigen Bart. Mit den Fingerspitzen tastete er seine Zähne ab. Sie waren alle da, keine Lücken. »Was daran so wichtig ist?«
»Mmh«, grunzte Talus.
»Identität!«
»Unsinn. Was ist das schon? Bei gleicher Identität lebt doch jeder trotzdem in einer anderen Welt.«
»Ja, aber er ist er selbst.«
»Glaubst du wirklich, von deinem Menschenbild so verschieden zu sein?«
»In der Tat! Schau mich an!«
Talus kicherte hinter vorgehaltener Hand und Ron fragte sich, warum.
»Du wirst stets nur sein, was du dir vorstellst, Ron. Wenn du den Frieden liebst und die Harmonie, bist du ebenso gut wie ein menschlicher Rondrick. Wenn du böses denkst, bist du ebenso schlecht wie der Lord der Unterwelt.«
»Und was ist mit meinen Erinnerungen?«
»Wohin haben sie dich gebracht? Wie reichhaltig sind sie? Sind sie kostbar? Die paar Nächte mit deiner Grisolde etwa? Als Ronius wirst du Erinnerungen haben, die um ein vielfaches wertvoller sind, als die deines kleinen Menschenlebens.«
»Man sagt auch, die Erinnerung sei das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann. Doch bei mir ist das anders. Ich wurde vertrieben.«
»Um ein neues, besseres Paradies zu finden.« Talus grunzte. »Was steht am Ende eurer Erinnerungen, ihr Menschen? Ihr sucht und findet nicht, ihr hadert, anstatt zu danken. Ihr tötet, anstelle Frieden zu halten. Ihr seid von Geburt an gut und werdet im Laufe eurer kurzen Zeit böse und schlecht.«
»Nicht alle!«, schrie Jamus.
Talus nickte. »Das mag sein, jedoch die Historie von Mythenland erzählt anderes.«
Egg begehrte auf. »Auch eure Historie. Denke an die Sumpfer, die sich nähern.«
Ron sagte erstickt: »Meine Erinnerungen sind
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