Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
abgenommen.
Hatte sie ihn falsch eingeschätzt?
War seine Liebe zur Natur größer gewesen als seine Liebe zu ihr?
Sie seufzte und strich das lange Haar hinter das rechte Ohr. Sie schloss die Augen und fragte sich, ob sie die richtigen Entscheidungen traf.
Als sie die Augen öffnete, explodierte das Fenster vor ihr und Kristallsplitter drangen in ihre Haut.
5. Kapitel
Connor rief seine Freunde zu sich.
Noch war Dandoria nicht in Sicht und das Meer war ruhig. Seine Erinnerungen brüllten ihn regelrecht an und er hatte das Gefühl sein Schädel müsse platzen. Er war nicht in der Lage, die Flut alleine zu bewältigen. Seine Gedanken glichen einer Schwemme, die alles unter sich begrub, erbarmungslos und mächtig.
»Was ist mit dir?«, fragte Lysa sanft und strich ihm über den Arm.
»Ich wette, es ist endlich geschehen«, sagte Frethmar.
»Er kennt mich besser, als ich dachte«, stieß Connor hervor und hielt sich mit beiden Händen an der Reling fest, wobei seine Knöchel weiß hervor traten. »Ja, ich erinnere mich. Es ist so – viel. So – schwer! Als wenn eine fremde Macht mein Gehirn in ihren Klauen hält. Alles auf einmal, so viele Bilder.«
Bama war bei ihm und ihre Finger strichen über seinen Rücken. »Nur Mut, mein Freund.«
»Mmpf«, sagte Bob. »Wahrscheinlich ist es, als wenn man ein Fenster öffnet und der Sturm hinein fegt.«
»Eine wunderschöne Metapher«, sagte Frethmar und grinste begeistert. »Man muss nur lange genug warten und gewöhnt sich an den Wind.«
»Oder er reißt alles auseinander«, fügte Bluma hinzu.
Darius knuffte sie. »Nicht so pessimistisch sein.«
Connor sagte nichts. Er hielt den Kopf gesenkt und presste seine Augen zusammen. Er keuchte und man sah ihm an, wie hart der Kampf war, den er erlebte. Alle seine Freunde, seine Gefährten waren bei ihm, doch niemand konnte ihm helfen.
»Wir müssen warten«, sagte Bob.
»Ich glaube, das Beste ist, wenn wir ihn ins Unterdeck bringen, wo er sich ausruhen kann«, sagte Darius.
Connor winkte mit einer Hand ab. Er sah aus wie ein Betrunkener, der sich krampfhaft bemüht, nüchtern zu werden, weil eine wichtige Aufgabe vor ihm liegt. »Nein, nein – es geht schon. Es wird immer besser. Langsam fügt sich alles. Die Erinnerungen werden meine eigenen. Sie bilden ein Ganzes.«
Er stieß sich ab und drehte sich um, wobei er Frethmar um Haaresbreite umgerissen hätte. Seine Augen glühten. Sein Gesicht verzerrte sich und bekam etwas, dass seinen Gefährten neu war. Hass! Er fletschte die Zähne und seine dunkle Stimme bekam einen metallischen Klang. »Er hat es mir angetan! Dieser Verfluchte hat es mir angetan.«
»Was angetan?«, fragte Bama mit ruhiger Stimme.
»Alles!«
Frethmar riss den Mund auf und setzte zu einer Bemerkung an, doch Bob kam ihm zuvor. »Möchtest du darüber reden?«
»Ja, möchtest du das?«, fragte Lysa. Sie sah besorgt aus und ihre Wangen glühten. »Wir haben noch viel Zeit, bis wir in Dandoria sind.«
»Ja«, krächzte Connor. »Ich will reden. Ich muss reden. Es ist wichtig! Aber ich suche den Anfang, den Beginn.«
»Lass dir Zeit«, sagte Lysa.
»Wir sollten nach unten gehen, wo wir ungestört sind«, sagte Darius.
Lysa nickte. »Das können wir gefahrlos tun. Die Wing segelt gut. Es droht uns keine Gefahr.«
Bob blickte zu dem blonden Hünen hoch. »Runtergehen, Connor?«
»Ja, runtergehen.«
So wurde es gemacht.
Hoch im Norden wird das karge Land von Winden geschüttelt und von Kälte gequält. Korgath rückte das wärmende Fell in den Nacken, zog den Kopf zwischen die Schultern und stapfte zu einem der schweren Zelte seiner Männer. Hier gab es Met und dunklen Wein. Beerenschnaps und die gebratene Lende des Nordurs. Hier war es warm, die Luft in den Zelten stickig, es roch nach rechtschaffenem Schweiß und Resten von Blut.
Sie nannten sich Barken.
Der allmächtige Gordur, welcher sich im immerwährenden Kampf mit den anderen Göttern befand, hatte seine Freude an ihrer Kampfkraft, ihrem Mut und ihrer Treue zur Heimat, das wusste Korgath, denn der Gott erschien ihm regelmäßig in seinen Träumen. Manch einer nannte die Barken Barbaren und damit hatte man Recht. Sie waren dem Stamm der Njörländer entsprungen, jenem Barbarenvolk, welches sich durch Gier und Dummheit selbst vernichtet hatte. Seit unzähligen Generationen wussten die Barken es besser und lebten gut.
Sie sangen die Lieder von Harkon dem Großen, der mit nur einem Hammer vier Drachen tötete.
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