Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
Konfrontation aus gewesen zu sein. Balger wusste, was sich hinter Augen verbarg. Nicht umsonst war er beste Befrager gewesen und würde es stets sein. Er konnte Lügen lesen, zumindest manchmal. Und hinter den Augen der Gefangenen herrschte nichts anderes als Verwirrung. Keine Schuld, keine Grausamkeit, nichts davon. Und schon gar keine Gewaltbereitschaft.
»Niemand kann gerecht sein, wenn er nicht menschlich ist«, flüsterte Agaldir und machte damit wieder auf sich aufmerksam.
Balger musterte den seltsamen Magus. »Was meint Ihr damit? Er kann nicht, weil er ein Halbling ist?«
»Verzeiht, bitte betrachtet die Menschlichkeit als ein Synonym für Mitgefühl und Wärme. Unwichtig, um welche Rasse es sich handelt, Inquister.« Er lächelte geheimnisvoll. »Besitzt Ihr diese Menschlichkeit?«
Balger suchte den Blick des Magus und schreckte zurück. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er in einen feinen trüben Schleier blickte. Liebe Güte, der Mann war blind. Ein Blinder Magister! Balger stellten sich die Nackenhaare auf. Sie gehörten zur mächtigsten Kaste der Magier. Es gab nicht viele von ihnen. Blinde Magister sahen mit der Haut, den Ohren und Sinnen, die einem normalen Menschen verschlossen waren. Sie ruhten in sich, denn nichts lenkte sie ab. Was suchte dieser Agaldir hier? Warum war er auf die Burg gekommen? Wusste er, was geschehen würde? Man sagte ihnen nach, in die Zukunft schauen zu können.
Hatte Claudel deshalb so sensibel reagiert? Weil er wusste, dass er sich in der Hierarchie weit unter der eines Blinden Magisters befand?
»Ihr seid ein ...«, krächzte Balger.
»Ein Blinder Magister, ja. Merkt Ihr das erst jetzt?«, fragte Agaldir belustigt.
Claudel schnaubte. »Er ist einer von denen, die Lügen verbreiten.«
»Dein Zorn wirft blinde Hunde, Claudel. Ich habe nichts gegen dich«, sagte Agaldir milde. »Sperre deinen Zorn besser ein, sonst wird er dir schlechte Dienste leisten.«
»Liebe Güte«, fuhr Balger auf. »Euer Geschwätz geht mir auf die Nerven.«
Im Hintergrund wurden Seile geschlungen.
Dienstboten, Küchenhilfen und andere Bedienstete, sowie einige Männer der Garde und andere Neugierige fanden sich ein. Sie ahnten, dass etwas Grausiges geschehen würde. Sie ahnten, dass die Hinrichtung, die vor einer Stunde geschehen war, nicht das Ende der Gewalt war.
Agaldir blickte Balger mit trüben Augen an. »Ich spüre, dass du deinen Magus um Hilfe bittest, ohne es ihm gesagt zu haben. Was willst du tun, Inquister? Wie sieht dein Konflikt aus? Feigheit gegen Mut? Gerechtigkeit gegen Ungerechtigkeit? Denke daran, dass der Mutige keine Waffen braucht.«
Balger schwitzte. Der Schweiß strömte ihm über den ganzen Körper und auf Brust und Rücken zeigten sich nasse Flecken auf seiner Kleidung. Dieser Blinde Magister hatte Recht. Fügte er sich jetzt, würde Störmer die Macht behalten. Es gab nur diese eine Konfrontation. Sie war an Dreistigkeit nicht zu überbieten, ein eindeutiger Affront, der ihn, Balger, lächerlich machte oder auch nicht.
Würde er sich der Hilfe von Claudel bedienen, würde man ihn vielleicht fürchten, aber nicht achten. Hier eröffnete sich ihm die einmalige Gelegenheit, sich zu rehabilitieren. Rettete er die Gefangenen und vernichtete Störmer, würde sich das in Windeseile herumsprechen und man würde ihm die Königskrone gönnen. Andererseits hatte er es mit sechs Soldaten zu tun, die ...
»So ist es«, sagte Agaldir, als habe er Balgers Gedanken gelesen. »Schon aus Selbstsucht sollte man bis zu einem gewissen Grad selbstlos sei.«
Störmer gab Befehle. Ein Soldat rollte ein leeres Fass herbei, ein anderer Soldat ein weiteres. Darauf würde man die Gefangenen stellen. Danach würde man die Fässer wegtreten, oder – war man grausam – sie sanft zur Seite schieben. Balger wettete, Störmer würde sich für das Zweite entscheiden.
»Schluss damit!«, rief er und stapfte mit wedelnden Armen auf Störmer zu, der ihn neugierig belauerte.
Ein Raunen wehte über den Burghof.
Niemand, der die Konfrontation und den Konflikt nicht spürte.
Soeben hievte man den Zwerg auf das Fass.
»Ich sagte, Schluss!«, wetterte Balger.
Störmer stemmte seine Hände in die Seiten und grinste breit. Sein Habichtgesicht drückte Zufriedenheit aus. »Ihr werdet nicht verhindern können, was ...«
Störmer grunzte. Er glotzte Balger an.
Der Inquister blinzelte.
Was war das?
Aus Störmers Mund quoll Blut. Aus seiner Kehle ragte ein Pfeil. Ein weiterer Pfeil surrte heran und
Weitere Kostenlose Bücher