Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
das Schlimmste, was geschehen konnte.
War sie eifersüchtig auf ihre junge Freundin?
Nein, sie war vorsichtig. War es von je her gewesen. Sie erinnerte sich an das Grauen, welches sie empfunden hatte, als sie Magus Claudel kennen gelernt und mittels dessen Hilfe den Übergang geschafft hatte. Wie sie im Sarg erwacht war. Der Sarg. Der muffige Lehm. Die Dunkelheit. Die Unendlichkeit. Doch es war gelungen. Davon hatte sie Murgon bis heute nichts gesagt.
Sie war halbtot in Unterwelt gestrandet, ihr Geist verwirrt. Sie war durch die Höhlen gekrochen und grausige Wesen hatten begonnen, sie zu umkreisen. Nur einem Zufall war es zu verdanken gewesen, dass ihr Bruder sich in der Nähe befand. Er rettete sie vor Schlimmerem, nahm sie in seine Arme und weinte vor Glück.
Er hatte geweint. Niemals würde sie diese Tränen vergessen, denn diese Tränen heilten sie auf der Stelle. Diese Tränen sorgten dafür, dass sie das Grauen des Übergangs vergaß, dass sie sich geborgen fühlte. Sie hatte ihn Feiniel genannt. Es war das einzige und letzte Mal gewesen, dass ihr Bruder diese Anrede akzeptierte.
Und nun würde er sich ihrer entledigen wollen?
Ja, denn er war ein grausamer Mann. Ein Psychopath. Einer, der nur für ein einziges Wesen Gefühle entwickeln konnte. Für sich selbst.
»Wie lange wird es noch dauern, bis Katraana hier eintrifft?«, fragte Murgon.
»Les’ es doch selbst ...«, schnappte Gwenael, immer noch in Gedanken versunken. »Du bist der große Murgon, ich bin nur eine einfache Weißelfe.«
Murgon legte den Kopf schief und musterte seine Schwester. Seine Lippen bebten. Seine feingeschwungenen Augenbrauen zogen sich zusammen. »Habe ich mich verhört?«
»Laß mich«, fauchte sie, drehte sich um und ging davon.
Ein harter Ruck riss sie zurück. Er war ihr gefolgt und hatte ihren Arm gegriffen. Er drehte sie zu sich. Sein Gesicht war nur eine Handbreit von ihrem entfernt. Sein Atem war warm. »Meine Schwester ist ungehalten? Darf ich erfahren, warum?«
Sie versuchte, ihm in die Augen zu blicken, doch sie fürchtete sich, in deren Düsternis zu versinken. Deshalb konzentrierte sie sich auf seine Nasenwurzel. »Lass mich los ...«, zischte sie und versuchte, sich ihm zu entziehen.
»Seit wann hast du mir zu sagen, was ich tun soll?«, sagte er gefährlich leise.
»Lass mich los.« Mehr brachte sie nicht hervor. Seine Aura der Macht verstärkte sich. Er würde sie mit einem einzigen Blick töten können.
»Niemand«, zischte er und Speicheltropfen spritzten in Gwenaels Gesicht. »Niemand sagt mir, was ich zu tun habe. Auch meine Schwester nicht. Du magst hin und wieder hilfreich sein, letztendlich gelang es dir bis heute nicht, eine Dunkelelfe zu werden. Deine Augen strahlen violett, deine Haut ist hell. Warum eigentlich? Wenn dich die Dämonen durch den Mahlstrom holten, müsstest du nun auch eine Dunkelelfe sein!«
Er stieß sie so hart von sich, dass sie mit dem Rücken gegen die Felswand schlug. Auf seiner Kleidung fingen sich blitzende Funken, die ihm eine unheimliche Aura verliehen. Sie überlegte krampfhaft, wie sie die Situation retten konnte, andererseits fühlte sie in sich einen Zorn aufsteigen, der sich unbedingt Luft machen wollte. Einen Zorn, der lange in ihr gelauert hatte. Wie ein wildes Tier, dass auf Jagd gehen will, welches seine Zähne in sein Opfer schlagen will...
Sie verlor die Fassung. »Du bist ein verzogener kleiner Junge. Du jammerst und heulst. Nichts bringst du zustande. Alles misslingt. Und warum?«
Murgon loderte. Seine Haare wehten.
»Weil du faul bist und bequem. Weil du dich fürchtest, an die Oberwelt zu gehen. Weil du im Grunde deines Herzens immer noch Feiniel bist.«
Er würde sie töten, ahnte Gwenael.
»Du bist der dunkle Lord der Unterwelt und spielst diese Rolle wie ein drittklassiger Akteur auf einer unserer Bühnen im Elfental Solituúde. Nichts an dir ist echt, abgesehen von deiner Grausamkeit. Vielleicht hatte unser Vater Recht, dich zu verstoßen.«
Er würde sie hier und jetzt töten. So etwas durfte sie ihm nicht sagen. Um Kritik zu akzeptieren, benötigte es eines klaren Verstandes. Und den besaß Murgon nicht.
»Und nun willst du deine Tochter in deine Machenschaften einbeziehen. So, wie es Vater stets vermutete. Er träumte, dass du knietief im Blut über Schlachtfelder watest. Alles schwarz, dunkel, verbrannt stinkend. Und Katraana soll dir folgen?«
Sie spuckte aus.
Murgon sprach mit dunkel hallender Stimme. Die Luft verdickte sich. Es
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