Im Schatten der Drachen (MYTHENLAND - Band 1 bis 5 komplett) (German Edition)
die wir schießen und die Handvoll Samsams, die wir aus den Erdbauten ziehen.«
»Schaff sie fort, Kendrik. Schaff sie fort oder verheirate sie mit einem fernen Stamm, damit es einen anderen scheren muss und wir wieder unseren Frieden haben.«
So überlegte Kendrik On'tor, was am besten zu tun sei, für sich, seine Tochter und die Gemeinschaft. Wie es Brauch war, zog er sich in das Tam - das Ritualzelt des Heilers - zurück.
Der runde Bau, war am Bodensaum mit einer dicken Schicht Tran abgedichtet, mit Fellen ausgelegt und in der Mitte mit einer kleinen Feuerstelle bestückt. Hier empfing der Stammesführer seine Weihe, hier hörte er die verschiedenen Tieraspekte sprechen, sah sie in seinem Geist Gestalt annehmen, wenn sie ihm Weisung gaben. Ihr Wort war Gesetz, egal wie ihre Entscheidungen ausfielen. Auch, wenn es bedeuten würde, Earin fortzuschicken.
Mit von Gram gezeichneter Miene entzündete der Älteste die ausgewählten Späne und träufelte die aus Rinde, Kräutern und Seemuscheln gewonnene Gebetsessenz in die Wasserschale, die über dem Feuer hing. Tief und langgezogen atmete er ein, so wie es ihm von seinem Vater, und dem wiederum von dessen Vater, beigebracht worden war.
Weißer Rauch flutete das Tam, legte sich als brennender pelziger Film über die Augen und machte ihm das Atmen schwer.
Doch Kendrik saß unverrückbar, aufrecht, die Beine in Froschhaltung seitlich der Hüfte aufgestellt, während sein Geist langsam seine Fühler nach der Geisterebene auszustrecken begann. Er schloss die Lider und ließ sich von den stumpfen Bässen der Erdtrommeln, die draußen geschlagen wurden, tragen. Schlag um Schlag - langsam, monoton und unerbittlich in ihrer Regelmäßigkeit.
Warum habe ich nicht Earin um Rat gefragt, so wie alle anderen?, wanderte ein Gedanke durch sein Bewusstsein und wurde im nächsten Augenblick mit dem Rauch fortgeweht, als sich die Götter zeigten.
Dunka und Tokk, Daschwa und Sogg, Zonday und Inuel kamen aus dem Dunkel der Zeltwände gekrochen und versammelten sich im Kreis um das Feuer. Bär und Habicht, Schlange und Seewolf, Samsam und Hirsch. Wehende Dunstgebilde.
»Du hast gerufen und wir sind gekommen, wie es der Bund verlangt«, erklangen die Stimmen im Chor.
Der Älteste schluckte trocken, spürte das Kratzen im Hals, den Rauch, der ihm seine Lungen füllte, aber es war ein anderer Schmerz, tief in seinem Herzen, der ihm Tränen in die Augen trieb, als er die Worte für seine Frage sammelte. Als er endlich die Lippen auseinander zwang, kamen ihm die Götter zuvor.
»Wir kennen deine Frage, Kendrik On'tor und wir kennen die Antwort. Earin ist für anderes bestimmt, als für eine Ehe und das Bündnis mit einem anderen Stamm. Sie wird den einen hervorbringen, der nur selten geboren wird. Er wird die Macht aller Aspekte in sich tragen, um zu behüten, was die Welt zusammenhält.«
Der Älteste blinzelte. War das nicht ein Widerspruch? »Wer soll der Vater dieses Kindes sein? Wem soll ich meine Tochter schenken?«
»Earin ist nicht dazu bestimmt, einem allein zu gehören«, wiederholten die Geister im Chor.
»Was soll das heißen, nicht einem alleine ?«, fragte Kendrik, während sich seine Gedärme zusammenzogen. Eine düstere Ahnung stieg in ihm auf und legte sich wie eine dornige Schlinge um sein Herz.
»Sie wird allen gehören. Ihr Sein mit allem teilen was ist, ihren Zweck erfüllen und darin aufgehen.«
Kendrik schüttelte unwillig und verwirrt den Kopf. Er verstand es nicht und vielleicht wollte er es auch nicht verstehen, wollte die Bilder nicht sehen, die sich vor sein geistiges Auge schoben: Halblinge und Zwerge, Elfen und Menschen, die an ihr zogen, an ihr zerrten, sich an ihr bedienten und sie am Ende entzwei rissen.
»Welchen Zweck?«, brachte er dennoch heiser hervor und wischte sich fahrig Bilder und Schweiß aus dem Gesicht.
»Sie wird unser aller Kind austragen.«
Der Älteste starrte die Tiergestalten an und bebte unter dem kalten Schauer, der ihm durch den Körper fuhr. Wieder und wieder schüttelte er den Kopf, während ihn die Götter unverwandt ansahen.
»Alles! Alles, aber das nicht«, stammelte er. »Ich werde ihr einen guten Mann suchen, einen der sie mit sich nimmt, damit das Dorf wieder seine Ruhe hat.«
»Was das Schicksal vorgesehen hat, wirst du nicht verrücken. Stell dich nicht in den Weg, sonst werden die Folgen über dir zusammenschlagen, wie eine stehende Woge über dem Wasserschwalb, wenn er versucht einen Creolin zu fischen und
Weitere Kostenlose Bücher