Im Schatten der Erdmagie
Außerdem…” Ellen brach ab. „Dieses Wort kann ich leider nicht lesen!”
„ Ganz ausgezeichnet!” sagte der Professor unterdessen zu ihrer Überraschung. „Ihr Lehrer in Russisch hat Ihnen auf jeden Fall etwas beigebracht.”
Brook nahm ihr das Manuskript aus der Hand.
Der Antiquar schaute auf das Manuskript wie ein Geier auf frisches Aas. Am liebsten hätte er es Brook anscheinend gleich wieder entwendet.
Er räusperte sich, ehe er vorsichtig sagte: „Sie wissen selbst, Professor, daß ein Kerimov-Manuskript so selten und wertvoll ist, daß ich es Ihnen unmöglich für ein paar Tage zur Prüfung überlassen kann, ohne eine gewisse Garantie zu haben, daß…” Blitzschnell zuckte seine Zungenspitze hervor und leckte über die dünnen, trockenen Lippen. Seine Augäpfel rollten beängstigend.
„ Das ist auch nicht nötig”, behauptete Brook. „Ich kaufe Ihnen das Manuskript zu dem Preis, den wir vereinbart haben ab, ohne weitere Prüfung und auch ohne Expertise.”
„ Sie verzichten auf eine Papieranalyse und dergleichen?” Der Antiquar gab sich überrascht.
„ Das Manuskript muß echt sein – oder es handelt sich zumindest um eine Abschrift, die dem Original sehr nahe kommt! Daran zweifle ich keine Sekunde. Das kann ich allein schon aus den inhaltlichen Bezügen schließen. Das dritte Kapitel wird bei anderen Autoren, die angeblich im Besitz der späteren Wiener Exilausgabe gewesen sein wollen, besonders erwähnt!” Brook atmete schwer. Er griff in die Innentasche seines ausgebeulten Jacketts und holte seine Brieftasche hervor.
Der Brieftasche entnahm er ein vorbereitetes, dickes Geldbündel.
Ellen gingen schier die Augen über, als sie das sah. Heutzutage war es schon lange nicht mehr üblich, mit soviel Bargeld in der Gegend herumzulaufen. Der Professor hatte es anscheinend schon länger bei sich. Vielleicht schon seit er von Hudson die Bestätigung erhalten hatte, daß dieser diese Schrift besorgen konnte?
Und wieso bezahlte er nicht mit Kreditkarte, wie es üblich gewesen wäre?
Ellen warf kurz einen Blick in die Runde. Nein, eine solche moderne Zahlungsweise paßte nun ganz und gar nicht hierher. Gewiß genauso wenig wie moderne Buchführung oder gar pünktliche und ehrliche Steuerzahlungen...
Hudson lächelte auf eine Art, die Ellen nicht gefiel.
Von einem Augenblick zum anderen war von der sympathischen, wenn auch etwas trotteligen Art, in der er zunächst Ellen erschienen war, nichts mehr zu spüren. Ein harter, kalter Zug trat in sein Gesicht. Die Augen glitzerten auf eine Weise, die Ellen unwillkürlich schaudern ließ.
„ Es ist schön, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Professor”, behauptete Hudson.
Seine Stimme klirrte wie Eis.
Der Professor bemerkte nichts davon. Zu sehr beherrschte ihn wohl der Gedanke an den bibliophilen Schatz, den er gerade erworben hatte.
„ Kommen Sie!” wandte sich Brook an Ellen Kioto. „Wenn Sie nichts dagegen haben, sehen wir uns das Manuskript gleich mal etwas näher an!”
Karem Grant tauchte auf, wie gerufen, und brachte sie hinaus. Dabei spürte Ellen ganz deutlich, daß sie von diesem Karem Grant aus den Augenwinkeln beobachtet wurde. Sie dachte zurück an die Vision. Was war los mit ihm?
Und was war los mit Edgar Hudson, diesem Antiquar?
Sie wußte auf einmal, daß die beiden etwas anderes waren, als sie vorgaben zu sein. Das war mehr als nur ein Gefühl. Es war etwas Unheimliches, das geradezu greifbar für sie war.
Was sie nicht mehr sehen, sondern nur ahnen konnte: Die Augen des Antiquars veränderten sich, nachdem die Tür seines Büros ins Schloß gefallen war. Sie wurden vollkommen schwarz. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse.
„ Viel Vergnügen bei Ihrer Lektüre, Professor!” murmelte er böse vor sich hin.
Ellen ahnte es, wie gesagt, aber sie vermochte es nicht einzuordnen. Noch nicht!
*
Peter Carmichael hatte zwar nichts zu seiner Freundin gesagt, aber er hatte deutlich genug gespürt, daß mit Ellen etwas nicht stimmte. Er war ruhig geblieben, weil sie ihm sowieso nicht geantwortet hätte.
Seit gestern abend ist sie regelrecht durch den Wind! bekräftigte er im stillen. Nur weil sie mit ihrer Mutter ein ernstes Wörtchen meinetwegen reden wollte? Was ist da überhaupt abgelaufen? Wieso will sie darüber nicht sprechen - sogar unter keinen Umständen? Was verschweigt sie mir – vielleicht nur aus Rücksicht auf mich?
Andererseits konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß es so
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