Im Schatten der Erdmagie
bisher auch überhaupt nicht interessiert. Wenn sie beide zusammen waren, hatten sie ganz andere Themen. Kein Wunder, wo sie sich doch erst vier Wochen kannten.
„ Dabei ist es wirklich so, als wären wir irgendwann schon einmal ganz innig zusammen gewesen, in einem anderen Leben, an das wir uns nicht mehr erinnern können”, murmelte er vor sich hin. „Wir erinnern uns nur noch an eines: An unsere Liebe! Und jetzt wollen - ja: müssen! – wir uns neu entdecken, neu kennenlernen. Es ist wunderschön und aufregend. Leider gibt es dadurch aber auch Dinge, die ein wenig ins Hintertreffen geraten sind: Ellen, ich weiß wirklich viel zu wenig von dir und über dich – genauso wenig wie du über mich. Ich wußte zum Beispiel noch nicht einmal, daß du Russisch kannst. Dabei kann ich selber auch Russisch, denn zur Hälfte bin ich Russe: Über meine Mutter! Nein, ich habe es nie dir gegenüber erwähnt, genauso wenig wie überhaupt etwas über meine Eltern...”
Er steckte das Handy weg und stand auf. Es hatte keinen Sinn, hier in der Mensa länger auf Ellen zu warten. Am besten, er fuhr zurück in seine Studentenbude. Wenn Ellen mit dem zauseligen Professor unterwegs war, dauerte das gewiß länger als veranschlagt. Möglicherweise war mit Ellen heute sowieso nicht mehr zu rechnen?
Er spürte den Schmerz der Sehnsucht in sich bohren, und es gelang ihm nicht, ihn zu unterdrücken.
„ Ach was”, murmelte er. „Du wirst doch mal einen einzigen Tag lang ohne Ellen auskommen? Was für ein Weichei bist du denn?”
Trotzdem: Die Sehnsucht blieb und verfolgte ihn bis zu seinem Auto.
Als er dann hinter dem Steuer saß, warf er sämtliche Pläne über den Haufen, denn ihm war ein kühner Gedanke gekommen: Wenn Ellen anderweitig beschäftigt war, wieso sollte er denn dann die Gelegenheit nicht nutzen?
Der Entschluß reifte in Sekundenschnelle. Voller Tatendrang startete er den Motor. Dann knirschte er hörbar mit den Zähnen: Ellens Mutter war gewiß daheim. Wenn nicht, würde er vor ihrer Haustür auf ihre Rückkehr warten. Jetzt, wo Ellen anderweitig unterwegs war, bot sich ihm tatsächlich eine schier einmalige Gelegenheit, das Wort mit Kara Kioto zu suchen. Er wollte sie nicht fragen, was sie denn gegen ihn hätte, sondern er hatte etwas ganz anderes vor: Er wollte von ihr wissen, was am gestrigen Abend zwischen Mutter und Tochter vorgefallen war. Denn daß es da etwas gab, was Ellen ihm verheimlichte, das war für ihn völlig klar.
Er fuhr den Wagen vom Parkplatz und fädelte ihn in den Verkehr ein. Dabei kam ihm ein neuer Gedanke: War es denn möglich, daß Ellens Absage etwas damit zu tun hatte? Belog sie ihn etwa und war gar nicht unterwegs mit dem Professor?
Ihm schwindelte leicht, doch dann war er überzeugt: Nein, Ellen hatte ihn nicht belogen! Sie war mit dem Professor unterwegs, und der brauchte sie irgendwie wegen ihren Russischkenntnissen.
„ Umso besser!” sagte er grimmig. „Mrs. Kioto, ich komme!”
Mehr Mut bekam er dadurch aber auch nicht. Ganz im Gegenteil. Mit jeder Meile, die er dem Haus der Kiotos näher kam, wuchs seine Unsicherheit: Tat er wirklich das Richtige? Was, wenn Ellens Mutter ihn von der Tür wies oder ihm sogar den Umgang mit ihrer Tochter verbot?
Ellen würde zu ihm halten, das war sicher, aber vielleicht würde sie ihm niemals verzeihen, daß er hinter ihrem Rücken zu ihrer Mutter gegangen war?
Wer wußte denn, wie ihre Mutter die Begegnung mit Peter überhaupt schildern würde? Dann würde sein Wort gegen das ihrige stehen. Eine zusätzliche Belastung für die Liebe, die ihn mit Ellen verband, auf jeden Fall.
Trotzdem gab es jetzt kein Zurück mehr für Peter. Er hatte sich nun einmal entschlossen und wollte keinen Rückzieher mehr machen. Nicht nur seinetwegen und der seltsamen Art, mit der Mrs. Kioto mit ihm umging, sondern vor allem auch, weil er sich Sorgen machte um Ellen. Sie war gestern abend so seltsam gewesen. Trotz der Ausgelassenheit später in der Disko... Das war eigentlich nur äußerlich gewesen. Innerlich war sie nach wie vor aufgewühlt gewesen...
Auf diese Art und Weise rang er mit sich und seinem Entschluß, bis er das Haus erreicht hatte.
*
Mit fahrigen Bewegungen parkte er das Auto ein und stieg aus. Beinahe vergaß er, abzuschließen. Obwohl er in diesen Dingen normalerweise sehr pingelig war. Sein roter Flitzer war sowieso für ihn ungefähr so wichtig wie sein eigener Augapfel. Nur Ellen war noch wichtiger. Etwas, was er von sich
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