Im Schatten der Gerechtigkeit
zurück blieben trostlose, zornige Augen voll Schmerz.
Er streckte ihr eine Hand entgegen. »Ich kann dazu nichts sagen, bevor ich sie nicht gelesen habe. Aber wenn dem so ist, so gebe ich Ihnen mein Wort darauf, daß ich nicht ruhen werde, bis die Sache erledigt ist.«
»Das habe ich mir gedacht.« Ein Lächeln huschte um ihren Mund und verschwand wieder. »Ihre Unbarmherzigkeit steht Ihnen ins Gesicht geschrieben, Mr. Monk. Sie hätte ich wirklich nicht gern auf den Fersen.« Sie grub in einem ungewöhnlich großen Ridikül und brachte ein Bündel Umschläge zum Vorschein. »Hier.« Sie hielt sie ihm hin. »Ich hatte gehofft, Sie würden zur Beisetzung kommen. Bitte, nehmen Sie sie, und tun Sie damit, was Sie für nötig halten. Vielleicht kann ich sie ja eines Tages wiederhaben – nachdem sie ihrem Zweck als Beweise gedient haben?«
»Wenn es in meiner Macht steht«, versprach er.
»Gut. Jetzt muß ich aber zu meinem Vater, auch wenn ich ihm nur ein kleiner Trost sein kann. Denken Sie daran, Sie haben mir Ihr Wort gegeben! Guten Tag, Mr. Monk.« Und ohne noch etwas hinzuzufügen, ging sie davon, kerzengerade, den Kopf steif und hoch, bis sie zwischen einer Gruppe Soldaten, darunter eine ganze Reihe Invaliden, verschwand, die ihr verlegen Platz machten.
Er öffnete die Briefe erst, als er zu Hause war, wo er sie bequem und ohne Hast lesen konnte.
Der erste war vor etwa drei Monaten geschrieben, genau wie Faith Barber gesagt hatte. Die Handschrift war klein, schlampig, ganz offensichtlich hatte es die Verfasserin eilig gehabt; trotzdem war sie weder gedrungen noch gewöhnlich und ließ sich leicht lesen.
Liebe Faith, heute hatten wir einen weiteren langwierigen, aber äußerst interessanten Fall, Eine Frau mit einem Brusttumor. Das arme Ding hatte seit geraumer Zeit Schmerzen, hatte jedoch zuviel Angst davor gehabt, jemanden zu konsultieren. Sir Herbert hat sie untersucht und sie wissen lassen, daß so rasch wie möglich operiert werden müßte und daß er das selbst übernehmen würde. Er konnte sie fast völlig beruhigen, und man nahm sie rechtzeitig im Hospital auf. Hier folgte eine detaillierte und sehr technische Beschreibung der Operation und Sir Herberts Brillanz. Hinterher hatte ich eine rasche Mahlzeit mit Sir Herbert (wir hatten stundenlang ohne die geringste Stärkung gearbeitet). Er setzte mir viele seiner Ideen über Behandlungsmethoden auseinander, die den Schock der Patienten bei solchen Operationen reduzieren könnten. Ich halte seine Gedanken für ausgezeichnet und würde es zu gerne sehen, daß er eine Position erreicht, in der er sie anwenden könnte. Er ist eine der großen Zierden sowohl der theoretischen als auch der praktischen Medizin. Manchmal denke ich, seine Hände sind die hübschesten, die ich je gesehen habe! Manche bezeichnen Hände im Gebet als erhabenen Anblick! Ich finde, heilende Hände sind durch nichts zu übertreffen! Ich ging so müde zu Bett! Und doch so glücklich! Deine dich liebende Schwester.
Monk legte den Brief beiseite. Er war persönlich, ließ vielleicht sogar das eine oder andere ahnen, enthielt jedoch keinerlei Vorwürfe und schon gar nichts Belastendes.
Er las einen weiteren und noch einen. Sie waren im Grunde alle gleich; eine ganze Reihe medizinischer Kommentare und Einzelheiten, und immer wieder Bemerkungen über Sir Herberts Geschicklichkeit.
Es war lächerlich, derart enttäuscht zu sein. Was hatte er denn erwartet? Mit schwindendem Interesse las er drei weitere. Dann, mit einemmal, stellte er fest, daß sein Herz klopfte, während die Finger mit dem Papier erstarrten. Ich habe gestern nacht über eine Stunde lang mit Sir Herbert gesprochen. Wir waren erst nach Mitternacht fertig geworden und beide zu überreizt von den Ereignissen, um uns sofort zu Bett zu begeben. Nie habe ich die Geschicklichkeit eines Mannes mehr bewundert als die seine, und d as habe ich ihm gesagt. Er zeigte sich ausgesprochen freundlich, ja herzlich mir gegenüber. Faith, ich glaube wirklich, daß es für mich doch das höchste Glück geben kann, genau wie ich mir das als Mädchen erträumt habe. Ich stehe einen Schritt vor all dem, was ich seit so langer Zeit schon will! Und Herbert ist der einzige, der es mir geben kann!
Ich ging so glücklich zu Bett – und aufgeregt! Ich hoffe ich träume – ja, ich bete sogar! Und alles liegt in Herberts Händen! Gott sei mit ihm.
Prudence.
Fieberhaft blätterte Monk weitere Briefe durch und fand zwischen medizinischen Details und
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