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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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den Taschen, die Finger um Prudence Barrymores Briefe.
    Einige Sekunden lang starrten sie einander an. Langsam verblaßte Runcorns Lächeln. Seine Augen wurden schmäler.
    »Nun?« sagte er gereizt. »Stehen Sie nicht grinsend rum! Haben Sie der Polizei etwas zu geben oder nicht?«
    Monk spürte sein altes Selbstvertrauen zurückkehren, das Wissen, Runcorn überlegen zu sein, den flinkeren Verstand, die schärfere Zunge und den stärkeren Willen zu haben.
    »Ich habe in der Tat etwas«, antwortete er, zog die Briefe aus der Tasche und zeigte sie Runcorn.
    Runcorn wartete; er weigerte sich zu fragen, worum es sich handelte. Er starrte Monk an, aber seine Sicherheit schwand rasch dahin. Die Erinnerungen an alte Zeiten waren zu stark.
    »Briefe von Prudence Barrymore an ihre Schwester«, erklärte Monk. »Ich denke, wenn Sie sie gelesen haben, werden Sie genügend Beweise haben, um Sir Herbert Stanhope zu verhaften.« Er sagte das, weil er wußte, es würde Runcorn aus der Fassung bringen. Er hatte eine Heidenangst davor, Leuten von gesellschaftlichem oder politischem Rang auf die Füße zu treten; und mehr noch davor, einen Fehler zu machen, der weder ein Zurück erlaubte noch sich sonst jemandem in die Schuhe schieben ließ. Schon kroch ihm die erste Zornesröte ins Gesicht, und sein Mund nahm einen verkniffenen Ausdruck an.
    »Briefe von der Barrymore an ihre Schwester?« wiederholte Runcorn, um Zeit zu gewinnen und einen klaren Gedanken zu fassen. »Sie beweisen ja wohl nicht sehr viel, Monk! Das Wort einer Toten – durch nichts erhärtet. Sie glauben doch nicht, daß wir daraufhin jemanden verhaften! Wir würden keine Verurteilung bekommen.« Ein hilfloses Lächeln spielte um seinen Mund; in seinen Augen war davon nichts zu sehen.
    Eine Erinnerung an die Vergangenheit stellte sich ein, beide waren sie noch viel jünger gewesen, aber Runcorn schon damals ängstlich und ständig in Sorge, er könnte einem Mächtigen zu nahe treten, selbst wenn es auf der Hand zu liegen schien, daß der etwas verschwieg. Monk empfand seine Verachtung nicht weniger stark als damals, als sie noch Grünschnäbel waren, neu in ihrem Beruf und ungeübt in ihren Fertigkeiten. Er wußte, daß sie ihm nicht weniger deutlich anzusehen war als damals. Und am aufblitzenden Haß in Runcorns Augen sah er auch, daß sie diesem nicht entging.
    »Ich nehme die Briefe an mich und werde mir mein eigenes Urteil über ihren Wert bilden!« Runcorns Stimme war scharf, seine Lippen verächtlich geschürzt, aber sein Atem war rauher geworden, und die Hand, die nach den Briefen griff, steif. »Sie haben gut daran getan, damit zur Polizei zu gehen.« Das Wort »Polizei« sprach er mit besonderer Genugtuung aus und sah Monk dabei fest in die Augen.
    »Das hoffe ich doch.« Monk hob die Brauen. »Ich frage mich nämlich, ob ich damit nicht besser zu jemandem gegangen wäre, der den Mut hat, sie auch offen zu benutzen und das Gericht entscheiden zu lassen, was sie beweisen!«
    Runcorn blinzelte, in seinen Augen loderte die Verwirrung. Es war derselbe abwehrende Blick wie damals, als er und Monk sich über besagten Fall gestritten hatten. Daß er letztendlich gewonnen hatte, änderte daran nichts.
    Worum war es in diesem Fall nur gegangen? Hatten sie ihn gelöst?
    »Das steht Ihnen nicht zu«, sagte Runcorn. »Sie würden Beweismaterial zurückhalten, und das ist strafbar. Glauben Sie ja nicht, ich würde Ihnen nicht den Prozeß machen!« Dann trat eine tiefe Freude in seine Augen. »Aber ich kenne Sie, Monk. Sie geben Sie mir schon deshalb, weil Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollen, eine hochgestellte Persönlichkeit bloßzustellen. Sie können es einfach nicht ertragen, wenn einer Erfolg hat, wenn er nach oben gekommen ist, weil Sie es selbst nicht geschafft haben! Sie sind neidisch, weiter nichts. Oh, Sie geben mir die Briefe. Das wissen Sie so gut wie ich.«
    »Natürlich wissen Sie das!« meinte Monk höhnisch. »Das macht Ihnen ja solche Angst. Sie werden sie benutzen müssen! Sie sind derjenige, der Sir Herbert vernehmen muß. Und wenn er nicht antwortet, müssen Sie Druck ausüben, ihn in die Enge treiben und schließlich verhaften. Allein der Gedanke versetzt Sie in Angst und Schrecken. Es wird Ihre gesellschaftlichen Ambitionen ruinieren. Sie werden zeit Ihres Lebens der Mann sein, der den besten Chirurgen Londons ruiniert hat!«
    Selbst Runcorns Lippen waren weiß geworden; Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Aber er machte

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