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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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ihre natürliche Verehrung und Dankbarkeit in … in romantische Gefühle verwandeln? Ihnen ist das völlig entgangen, bis plötzlich ein zufälliges Wort, ein Blick Ihnen klarmacht, daß da jemand eine Phantasie pflegt, deren Zentrum Sie sind.«
    Rathbone kannte die Erfahrung nur zu gut. Er kannte das ausgesprochen angenehme Gefühl, bewundert zu werden, das plötzlich in einer peinlichen Konfrontation mit einer atemlosen jungen Dame endet, die seine Eitelkeit in ihrem romantischen Eifer als Schüchternheit und verborgene Leidenschaft gedeutet hatte. Selbst jetzt errötete er bis über die Ohren bei der Erinnerung daran.
    Sir Herbert lächelte. »Ich sehe, Sie haben. Äußerst schmerzlich so etwas. Und dann stellt man womöglich fest, daß man derlei aus reiner Blindheit nicht schon im Keime erstickt hat, weil man einfach zu sehr mit seiner Arbeit beschäftigt war.« Sein Blick ruhte nach wie vor auf Rathbones Gesicht. »Ich fürchte, genau das ist mit Schwester Barrymore passiert. Ich schwöre Ihnen, ich hatte nicht die geringste Ahnung. Sie war nicht die Art Frau, mit der man solche Gefühle verbindet.« Er seufzte. »Gott allein weiß, was ich gesagt oder getan haben könnte, was sie völlig falsch aufgefaßt hat. Frauen scheinen in der Lage, Worte und Schweigen so auszulegen, daß sie alles mögliche bedeuten, was einem nie in den Sinn gekommen ist!«
    »Wenn Ihnen etwas Spezielles einfallen würde, wäre das sicher hilfreich.«
    Unter der Anstrengung, Rathbones Aufforderung nachzukommen, legte Sir Herbert das Gesicht in Falten. »Es ist wirklich sehr schwierig«, sagte er schließlich zögernd.
    »Während man seine Pflicht tut, wägt man nicht jedes Wort ab. Natürlich habe ich unzählige Male mit ihr gesprochen. Sie war eine exzellente Schwester.« Er schüttelte heftig den Kopf. »Wir hatten ein rein berufliches Verhältnis, Mr. Rathbone. Ich habe mich nicht mit ihr unterhalten wie mit einer Bekannten. Es ist mir nie in den Sinn gekommen, auf ihr Gesicht zu achten, um sicherzugehen, daß sie keine meiner Bemerkungen falsch versteht. Möglicherweise habe ich ihr sogar oft den Rücken zugewandt, während ich mit ihr sprach, im Weggehen oder während ich anderweitig beschäftigt war. Meine Hochachtung für sie hatte absolut nichts Persönliches.«
    Rathbone unterbrach ihn nicht, sondern saß abwartend da und beobachtete sein Gesicht. Sir Herbert zuckte mit den Achseln.
    »Junge Frauen neigen zu Phantasien, zumal wenn sie ein gewisses Alter erreichen und nicht verheiratet sind.« Ein flüchtiges Lächeln umspielte seine Lippen, das sowohl Bedauern als auch Mitgefühl ausdrückte. »Daß sich eine Frau in diesem Ausmaß ihrem Beruf widmet, ist einfach nicht natürlich und stellt zweifelsohne eine Belastung für ihre naturgegebene Gefühlswelt dar. Vor allem wenn es sich um einen so ungewöhnlichen und fordernden Beruf wie den der Krankenschwester handelt.« Sein Blick ruhte ernst auf Rathbones Gesicht. »Die Kriegserlebnisse müssen in ihrem Fall zu einer besonderen Verletzlichkeit geführt haben, und Tagträume sind beileibe keine so abnormale Methode, Dinge zu bewältigen, die sonst nicht zu ertragen wären.«
    Rathbone wußte, daß er recht hatte, und dennoch konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, daß es sich herablassend anhörte. Ohne recht zu wissen warum, ärgerte ihn das. Er konnte sich kaum jemanden vorstellen, dem er weniger zugetraut hätte, sich romantischen Tagträumen hinzugeben als Hester Latterly, auf die Sir Herbert sich in vieler Hinsicht bezog. Sie war schließlich in genau der gleichen Situation wie Prudence. Vielleicht hätte er dann weniger Schwierigkeiten gehabt, mit ihr auszukommen! Und trotzdem, wäre dem so gewesen, er hätte sie weniger bewundert, vielleicht sogar weniger gern gehabt. Mit einiger Mühe verkniff er sich zu sagen, was ihm in den Sinn kam. Er wandte sich wieder seiner ursprünglichen Frage zu.
    »Ihnen fällt also keine spezielle Gelegenheit ein, bei der sie eine bestimmte Bemerkung Ihrerseits falsch ausgelegt haben könnte? Es wäre ausgesprochen hilfreich, wenn wir den Vorwurf detaillierter widerlegen könnten.«
    »Das sehe ich ein, aber ich fürchte, mir will nichts einfallen, was ich gesagt oder getan haben könnte, um bei einer Frau den Eindruck zu erwecken, mein Interesse gehe über das Berufliche hinaus.« Sir Herbert sah ihn besorgt und mit einer, wie Rathbone meinte, völlig unschuldigen Ratlosigkeit an.
    Rathbone stand auf. »Das wäre fürs erste genug,

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