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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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schnappte nach Luft, und das letzte bißchen Farbe verschwand aus ihrem Gesicht. Sie umklammerte Arthurs Hand auf ihrer Schulter.
    »Wirklich, Sir!« sagte Arthur wütend. »Das war völlig unnötig! Ich hätte Ihnen doch etwas mehr Rücksicht auf die Gefühle meiner Mutter zugetraut! Wenn Sie schon mit uns zu schaffen haben, dann erledigen Sie das kurz und taktvoll. Und dann gehen Sie um Himmels willen wieder.«
    „Was können wir tun?« fragte Lady Stanhope besänftigend.
    „Was können wir tun, um Herbert zu helfen?«
    Allmählich und mit ungewöhnlicher Geduld entlockte er den beiden ein Bild von Sir Herbert als einem ruhigen, anständigen Mann mit einem normalen Privatleben, seiner Familie treu ergeben und völlig kalkulierbar, was seine persönlichen Vorlieben anbelangte. Der einzige Genuß, den er sich zu gönnen schien, war ein Glas Whisky am Abend, und dann hatte er noch eine Schwäche für gutes Roastbeef. Er war ein pflichtbewußter Ehemann und ein liebevoller Vater.
    Die Unterhaltung verlief zäh. Er probierte jede Möglichkeit, die ihm nur einfallen wollte, um einem der beiden etwas zu entlocken, was für Rathbone von Nutzen sein könnte, irgend etwas, was über die zu erwartende Loyalität hinausging, die er ihnen durchaus abnahm, die Geschworenen jedoch wahrscheinlich kaum beeinflussen würde. Was sollte eine Ehefrau sonst sagen? Und zudem war sie keine vielversprechende Zeugin. Sie war viel zu verängstigt, um sich klar auszudrücken, geschweige denn überzeugend zu sein.
    Er konnte jedoch nicht anders, als Mitleid mit ihr zu haben.
    Er wollte eben gehen, als es an der Tür klopfte. Ohne auf eine Antwort zu warten, kam eine junge Frau herein. Sie war schlank, ja mager, und ihr Gesicht war so auffallend von Krankheit und Enttäuschung gezeichnet, daß man sich schwer tat, ihr Alter zu schätzen, aber seiner Ansicht nach mochte sie wohl zwanzig sein.
    »Entschuldigt mein Eindringen«, begann sie, aber noch bevor sie den Mund aufgemacht hatte, überkam Monk eine Erinnerung, so stark und quälend, daß seine Umgebung verschwand: Lady Stanhope und Arthur wurden zu bloßen Flecken am Rande seines Gesichtsfeldes. Mit erschütternder Unmittelbarkeit fiel ihm ein, worum es in diesem alten Fall gegangen war. Ein Mädchen war vergewaltigt und ermordet worden. Er sah ihren zerschlagenen mageren Körper vor sich und spürte die Wut, die Verwirrung und den Schmerz, die qualvolle Hilflosigkeit. Sie war es, die ihn seine Konstabler so hart hatte anfassen, seinen Zeugen so unerbittlich hatte zusetzen lassen; sie war der Grund, weshalb er Runcorn so gnadenlos und ungeduldig mit Verachtung gestraft hatte.
    Das Entsetzen stellte sich mit all der Unmittelbarkeit ein, das es für ihn mit zwanzig gehabt hatte. Es entschuldigte kaum die Art, wie er die Leute behandelt hatte, es machte nichts ungeschehen. Aber es war eine Erklärung. Wenigstens hatte er jetzt einen Grund: eine Leidenschaft nicht um seiner selbst willen. Er war nicht lediglich grausam, arrogant und ehrgeizig gewesen. Er hatte sich engagiert – wütend, unermüdlich und zielbewußt.
    Er mußte feststellen, daß er erleichtert lächelte, und dennoch war ihm ganz flau im Magen.
    »Mr. Monk?« fragte Lady Stanhope nervös.
    »Ja – ja, Madam?«
    »Werden Sie meinem Gatten helfen können, Mr. Monk?«
    »Ich denke doch«, sagte er mit fester Stimme. »Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, das verspreche ich Ihnen.«
    »Ich danke Ihnen. Ich – wir… sind Ihnen sehr dankbar.« Sie hielt Arthurs Hand etwas fester. »Wir alle.«

9
    Der Prozeß gegen Sir Herbert Stanhope im Old Bailey begann am ersten Montag im August. Es war ein schwüler, grauer Tag mit einem heißen Südwind, der den Geruch von Regen in sich trug. Draußen drängte sich die Menge und wälzte sich, erpicht darauf, einen der wenigen öffentlichen Sitzplätze zu ergattern, die Treppe hinauf. Zeitungsjungen versprachen lautstark exklusive Enthüllungen und prophezeiten, was da kommen sollte. Die ersten schweren Regentropfen fielen warm auf selbstvergessene Köpfe.
    In dem holzgetäfelten Sitzungssaal saßen, in zwei Reihen, die Geschworenen, den Rücken zu den hohen Fenstern, das Gesicht in Richtung der Anwaltstische, hinter denen sich die wenigen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehenden Bänke reihten. Rechter Hand von den Geschworenen, gut sechs Meter über dem Boden, befand sich die Anklagebank, eine Art Balkon, von dem aus eine verborgene Treppe zu den Zellen führte. Ihr gegenüber

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