Im Schatten der Gerechtigkeit
von Kopf bis Fuß – von den diskret gewichsten Schuhen über die tadellosen Hosenbeine und das elegante Jackett bis zu seinem harten, hageren Gesicht mit den stechenden Augen und dem boshaften Mund. »Sie sehen mir nicht gerade aus, als wüßten Sie eine Schaufel von einem Spaten zu unterscheiden«, fuhr sie fort. »Und ganz sicher verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt nicht mit den Händen!«
Nun war sein eigenes Interesse geweckt. Sie hatte ein faltiges, aber liebenswürdiges Gesicht voller Humor und Wißbegierde, und in ihren Bemerkungen klang nicht die geringste Kritik an.
Seine Ungewöhnlichkeit schien sie eher zu freuen.
»Das müssen Sie mir schon näher erklären.« Sie wandte sich nun völlig vom Schreibtisch ab, ganz so, als interessiere Monk sie weit mehr als der Brief, den sie gerade schrieb.
Er lächelte. »Gern, Madam«, erklärte er sich bereit. »Ich mache mir nicht wirklich Sorgen um ein paar Scheiben. Sie sind leicht zu ersetzen. Aber Mrs. Penrose ist etwas erschreckt über den Gedanken, daß sich hier Fremde herumtreiben könnten. Miss Gillespie, ihre Schwester, hält sich gern im Gartenhäuschen auf, und der Gedanke, jemand könnte sie dabei beobachten, ohne daß sie es merkt, ist ihr unangenehm. Vielleicht ist ihre Sorge ja grundlos, aber sie hat sie nun einmal.«
»Ein Spanner! Wie geschmacklos!« sagte die alte Dame, die auf der Stelle verstand. »Oh, ich kann sehr gut verstehen, daß sie die Angelegenheit verfolgt sehen will. Sie ist ein lebhaftes Mädchen, Mrs. Penrose, aber von ausgesprochen zarter Konstitution, fürchte ich. Das ist bei so hellen Mädchen gar nicht so selten. Muß gar nicht so leicht sein für die drei.«
Monk war verwirrt; ihre Aussage schien ihm doch etwas übertrieben. »Für die drei?« wiederholte er.
»Na, so ganz ohne Kinder«, sagte die alte Dame und sah ihn mit leicht geneigtem Kopf an. »Aber das müssen Sie doch bemerkt haben, junger Mann?«
»Ja, sicher, selbstverständlich. Ich habe es nur nicht mit ihrer Gesundheit in Verbindung gebracht.«
»Ach, mein Lieber – ist das nicht wieder typisch Mann?« Sie machte ein mißbilligendes Geräusch. »Natürlich hat das mit ihrer Gesundheit zu tun! Seit acht oder neun Jahren ist sie nun verheiratet. Was sollte es wohl sonst sein? Der arme Mr. Penrose erträgt es ja ausgesprochen tapfer, aber was sollte er auch anderes tun? Ein weiteres Kreuz für das arme Wesen. Eine angekratzte Gesundheit ist mit das Schlimmste, was es gibt.« Sie stieß einen kleinen Seufzer aus. Sie betrachtete ihn eingehend mit leicht zusammengekniffenen Augen, so konzentrierte sie sich. »Nicht daß Ihnen so etwas auffallen würde, wenn ich Sie mir so ansehe. Tja, einen Spanner habe ich nicht gesehen, aber andererseits sehe ich auch nicht weiter als bis zum Fenster. Mein Augenlicht läßt mich langsam im Stich. Das ist nun mal so in meinem Alter. Nicht, daß Sie davon viel verstünden. Ich nehme nicht an, daß Sie älter als fünfundvierzig sind.«
Monk zuckte zusammen, verkniff sich jedoch jede Bemerkung. Er zog es vor zu glauben, daß man ihm seine fünfundvierzig Jahre nun wirklich nicht ansah, aber dies war nicht die Zeit für Eitelkeiten, und die freimütige alte Dame war sicher nicht die richtige für ein so durchsichtiges Manöver.
»Tja, da sprechen Sie besser mal mit den Dienstboten draußen«, fuhr sie fort. »Aber es sind nur der Gärtner und manchmal die Spülmagd, wenn sie der Köchin ausbüxen kann. So wie ich das eben sagte, haben Sie sicher gleich an einen ganzen Hofstaat gedacht, nicht wahr? Fragen Sie nur, unbedingt. Und lassen Sie es mich wissen, wenn sie Ihnen etwas Interessantes sagen. Es passiert heute wenig genug Interessantes.«
Er lächelte. »Die Gegend ist Ihnen doch nicht etwa zu ruhig?« Sie seufzte. »Ich komme nicht mehr so viel herum wie früher, und kein Mensch trägt mir mehr Klatsch zu. Vielleicht gibt es einfach keinen mehr.« Ihre Augen wurden groß. »Was sind wir doch dieser Tage alle so schrecklich respektabel geworden. Das macht nur die Königin. Als ich noch ein junges Ding war, da war das ganz anders.« Sie schüttelte traurig den Kopf. »Damals hatten wir natürlich noch einen König. Was für eine herrliche Zeit. Ich erinnere mich noch daran, wie die Nachricht von Trafalgar eintraf. Der größte Flottensieg, den Europa gesehen hat, wußten Sie das?« Sie sah Monk scharf an, ob er sich der Bedeutung ihrer Worte auch tatsächlich bewußt war. »Damals ging es um Englands Überleben gegen den
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