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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sein?«
    »Selbstverständlich!« Ein zorniger Ausdruck überzog Geoffreys Gesicht, und er sah Rathbone mit zunehmender Verärgerung an.
    »Sie sahen also Gefahren, ja selbst eine Tragödie voraus?« Rathbone fort.
    »Und ob. Und genau das ist ja passiert!«
    Ein Raunen ging durch den Saal. Auch das Publikum wurde ungeduldig.
    Richter Hardie beugte sich vor, um etwas zu sagen.
    Rathbone ignorierte ihn und drängte weiter. Er wollte durch eine Unterbrechung nicht noch den letzten Rest an Aufmerksamkeit verlieren.
    »Es schmerzte Sie also«, fuhr er fort, seine Stimme etwas lauter. »Sie hatten Miss Barrymore mehrmals um ihre Hand gebeten, und sie hat Sie abgewiesen, augenscheinlich in dem törichten Glauben, Sir Herbert hätte ihr etwas zu bieten. Was, wie Sie selbst sagen, völlig absurd war. Ihre Widerspenstigkeit muß Sie doch über die Maßen enttäuscht haben. Sie war lächerlich, selbstzerstörerisch und ausgesprochen ungerecht!«
    Geoffreys Finger umklammerten einmal mehr die Brüstung des Zeugenstands, als er sich weiter vorbeugte.
    Das Rascheln und Wetzen der Kleider verstummte abrupt, als den Leuten klar wurde, was Rathbone sagen wollte. »Es hätte wohl jeden Mann zornig gemacht«, fuhr er mit aalglatter Stimme fort. »Selbst einen Mann von sanfterem Naturell als Sie! Und dennoch sagen Sie, Sie hätten sich nicht gestritten? Dann scheint mir Ihr Temperament gar nicht so ungestüm! Ja, um genau zu sein, es hat ganz den Anschein, als hätten Sie überhaupt kein Temperament! Mir wollen, wenn überhaupt, nur sehr wenige Männer einfallen«, er zog ein Gesicht, das fast an Verachtung grenzte, »denen angesichts einer solchen Behandlung nicht der Kamm schwellen würde.«
    Der tiefere Sinn des Gesagten war offensichtlich. Seine Ehre, seine Männlichkeit waren in Frage gestellt.
    Im ganzen Saal war nichts zu hören, außer dem Scharren von Lovat-Smiths Stuhl, der Anstalten machte aufzustehen, dann aber doch sitzen blieb.
    Geoffrey schluckte. »Selbstverständlich war ich ärgerlich«, sagte er, und die Worte blieben ihm fast im Halse stecken.
    »Aber der Streit wurde nicht gewalttätig. Ich bin kein gewalttätiger Mann.«
    Rathbone machte große Augen. Es herrschte absolute Stille im Raum; nur Lovat-Smith atmete ganz langsam aus.
    »Nun, Gewalt ist natürlich relativ«, sagte Rathbone ruhig.
    »Aber Ihr Angriff auf Mr. Archibald Purbright, der Sie bei einer Partie Billard betrogen hat – was natürlich ärgerlich ist, aber keineswegs von Bedeutung –, also der war doch gewalttätig, oder etwa nicht? Wenn Ihre Freunde Sie nicht zurückgehalten hätten, dann hätten Sie den Mann lebensgefährlich verletzt!«
    Geoffrey war aschfahl, der Schreck ließ ihm das Blut aus dem Kopf weichen.
    Rathbone ließ ihm keine Zeit. »Haben Sie Ihre Beherrschung Miss Barrymore gegenüber nicht auf ähnliche Weise verloren, als sie sich so töricht benahm und Sie einmal mehr abwies? War das tatsächlich weniger ärgerlich, als eine Partie Billard mit einem Mann zu verlieren, von dem ohnehin jeder wußte, daß er betrog?«
    Geoffrey öffnete den Mund, aber es kam kein verständlicher Laut.
    »Nein«, sagte Rathbone lächelnd. »Sie brauchen darauf nicht zu antworten! Ich sehe sehr wohl, daß es unfair war, Sie das zu fragen. Die Geschworenen werden ihre eigenen Schlüsse ziehen.
    Ich danke Ihnen, Mr. Taunton. Ich habe keine weiteren Fragen.« Lovat-Smith stand auf; seine Augen leuchteten, seine Stimme war scharf und klar. »Sie brauchen die Frage nicht noch einmal zu beantworten, Mr. Taunton«, sagte er bitter. »Aber vielleicht wollen Sie das ja. Haben Sie Miss Barrymore ermordet?«
    »Nein! Nein, das habe ich nicht!« Geoffrey hatte endlich seine Sprache wiedergefunden. »Ich war wütend, aber ich habe ihr nichts, aber auch gar nichts angetan! Um Himmels willen!« Er warf einen funkelnden Blick in den Saal. »Stanhope hat sie umgebracht! Ist das nicht offensichtlich?«
    Ohne es zu wollen, starrte jeder, selbst Hardie, Sir Herbert an. Und zum erstenmal machte Sir Herbert den Eindruck, als wäre ihm ganz und gar nicht wohl in seiner Haut. Er wandte jedoch weder den Blick ab noch errötete er. Er erwiderte Geoffrey Tauntons Blick mit einem Ausdruck, in dem sich weniger Schuld als Ohnmacht und Verlegenheit spiegelten.
    Rathbone verspürte eine Welle der Bewunderung für ihn und erneuerte noch im selben Augenblick seinen Schwur, ihn freizubekommen.
    »Für einige hier, ja.« Lovat-Smith lächelte geduldig. »Aber nicht alle – noch

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