Im Schatten der Gerechtigkeit
Herbert und wandte sich ab, als wolle er auf und ab gehen, aber da die Zellenwände das nicht zuließen, drehte er sich sofort wieder um. »Erinnern Sie sich an jedes beiläufige Wort, das je zwischen Ihnen und Ihren Schreibkräften oder Juniorpartnern gefallen ist? Ich habe einfach das Pech, vor allem mit Frauen zu arbeiten. Vielleicht sollte man das nicht?« Sein Ton war mit einemmal wild. »Aber die Krankenpflege überläßt man nun mal am besten den Frauen, und wahrscheinlich würden wir nicht einmal genug verläßliche Männer finden, die dazu bereit und imstande wären.« Seine Stimme wurde lauter, und Rathbone wußte aus langer Erfahrung, daß es die Panik war, die gleich unter der Oberfläche lauerte.
Er steckte die Hände in die Taschen und nahm eine bewußt weniger förmliche Haltung ein. »Ich rate Ihnen dringend, dergleichen nicht im Zeugenstand zu sagen. Denken Sie immer daran, die Geschworenen sind ganz gewöhnliche Leute, die Ehrfurcht vor der Medizin haben, ohne auch nur das geringste davon zu verstehen. Und nachdem Miss Nightingale zur Nationalheldin geworden ist, sind auch ihre Schwestern Heldinnen. Erwecken Sie auf keinen Fall den Eindruck, Sie kritisierten Prudence Barrymore, noch nicht einmal indirekt. Das ist der wichtigste Ratschlag, den ich Ihnen geben kann. Halten Sie sich nicht daran, können Sie Ihre Verurteilung gleich selbst unterschreiben.«
Sir Herbert starrte ihn an; seine intelligenten Augen waren völlig klar. »Selbstverständlich«, sagte er ruhig. »Ja, natürlich, das verstehe ich.«
»Und beantworten Sie nur meine Fragen, fügen Sie nicht das geringste hinzu! Ist das klar?«
»Ja – ja, natürlich, wenn Sie es sagen.«
»Und unterschätzen Sie Lovat-Smith nicht. Er mag aussehen wie ein fahrender Schauspieler, aber er ist einer der besten Staatsanwälte Englands. Lassen Sie sich von ihm nicht dazu verleiten, mehr zu sagen, als absolut nötig ist, um seine Fragen exakt zu beantworten. Er wird Ihnen schmeicheln, er wird Sie in Rage bringen und Sie intellektuell herausfordern, falls er das für nötig hält. Ihr Eindruck auf die Geschworenen ist die wichtigste Waffe, die Sie haben. Das weiß er so gut wie ich.«
Sir Herbert sah blaß aus. Zwischen den Brauen hatte er eine tiefe Kummerfurche. Er starrte Rathbone an, als wolle er sich ein Urteil über ihn bilden. »Ich werde vorsichtig sein«, sagte er schließlich. »Ich danke Ihnen für Ihren Rat.«
Rathbone erhob sich und streckte ihm eine Hand entgegen.
»Keine Sorge. Das ist die dunkelste Stunde. Von jetzt an sind wir an der Reihe, und solange uns kein dummer Fehler unterläuft, gewinnen wir heute.«
Sir Herbert ergriff seine Hand und drückte sie fest. »Ich danke Ihnen. Ich habe volles Vertrauen in Sie. Und ich werde Ihre Anweisungen exakt befolgen.«
Wie an jedem Tag bisher füllten Publikum und Presse auch an diesem den Saal bis auf den letzten Platz; an diesem Morgen lag jedoch eine erwartungsvolle Stimmung, so etwas wie Hoffnung in der Luft. Die Verteidigung sollte beginnen. Es käme also vielleicht zu überraschenden Enthüllungen und dramatischen Szenen, vielleicht gab es sogar Hinweise auf einen anderen Mörder.
Rathbone war nicht so gut vorbereitet, wie er es gern gewesen wäre, dazu fehlte einfach die Zeit. Jetzt galt es den Eindruck zu erwecken, nicht nur zu wissen, daß Sir Herbert unschuldig, sondern auch wer der Schuldige war. Er war sich des Blicks jedes einzelnen Geschworenen auf sich bewußt. Man beobachtete jede seiner Bewegungen, registrierte jede Veränderung seines Tonfalls.
»Euer Ehren, meine Herren Geschworenen«, begann er mit einem feinen Lächeln. »Ich bin sicher, Sie werden verstehen, daß sich die Anklage weitaus leichter tut, die Schuld eines Mannes nachzuweisen als die Verteidigung mit dem Beweis seiner Unschuld. Es sei denn, sie könnte beweisen, daß es ein anderer war! Was ich unglücklicherweise nicht kann – bis jetzt! Obwohl immer die Möglichkeit besteht, daß sich während der zu erwartenden Aussagen noch etwas ergibt.«
Ein aufgeregtes Flüstern war zu vernehmen, selbst das hastige Kratzen von Bleistiften auf Papier.
»Aber wie auch immer«, fuhr er fort, »die Anklage hat den Beweis nicht erbringen können, daß Sir Herbert Stanhope Prudence Barrymore ermordet hat – nur daß er es getan haben könnte! Wie viele andere auch: Geoffrey Taunton, Nanette Cuthbertson, Dr. Beck, um nur einige zu nennen. Der Hauptpunkt Ihrer Anklage«, er wies dabei mit einer beiläufigen Geste
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