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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nicht.«
    »Vergessen Sie Sir Herbert.« Runcorn wischte das Thema mit einer Handbewegung beiseite. »Was ist mit der Toten? Hat sie sich mit diesem Dr. Beck vertragen?« Wieder das Klopfen seiner Finger auf dem Tisch. »Könnten Sie etwas miteinander gehabt haben? Sah sie nett aus? Wie war es um ihre Moral bestellt? Locker? Wie ich höre, sollen diese Schwestern ein ziemlich loses Völkchen sein.«
    Evan öffnete schon den Mund, um zu widersprechen, aber Jeavis trat ihm gegen das Schienbein.
    Evan schnappte nach Luft.
    Runcorn wandte sich mit zusammengekniffenen Augen an ihn. »Ja? Reden Sie schon, Mann! Stehen Sie nicht einfach da!«
    »Nein, Sir. Abträgliches über Miss Barrymores Moral ist uns nicht zu Ohren gekommen, Sir. Ganz im Gegenteil, jedermann sagt, derlei Dinge hätten sie nicht interessiert.«
    »Nicht normal, was?« Runcorn verzog das lange Gesicht zu einem Ausdruck des Abscheus. »Kann nicht sagen, daß mich das groß überrascht. Welche normale Frau würde schon auf ein Schlachtfeld im Ausland ziehen und einen solchen Beruf ergreifen?«
    Es schoß Evan durch den Kopf, daß Monk ihn auf die Ungereimtheit seines Schlusses hingewiesen hätte. Er starrte Jeavis von der Seite her an, dann wieder in Runcorns nachdenkliche Miene; der hatte die Brauen inzwischen tief über die lange, schmale Nase gezogen.
    »Was sollen wir als normal ansehen, Sir?« Evan hatte die Worte gesagt, noch bevor ihn sein besseres Wissen davon abhalten konnte – fast als hätte jemand anderer gesprochen.
    Runcorns Kopf fuhr auf. »Was?«
    Evan stand breitbeinig da; er biß die Zähne zusammen. »Ich habe mir gedacht, Sir, wenn sie nicht normal war, nur weil sie kein Interesse an Männern hatte, und wenn sie von lockerer Moral war, wenn sie welches hatte, Sir. Was wäre Ihrer Ansicht nach das Richtige, Sir?«
    »Richtig für eine junge Frau, Evan«, sagte Runcorn gepreßt, und das Blut stieg ihm ins Gesicht dabei, »ist, daß sie sich wie eine Dame benimmt: schicklich, bescheiden und liebenswürdig. Sie läuft einem Mann nicht nach, gibt ihm aber auf eine zarte und subtile Weise zu verstehen, daß sie ihn bewundert und ihr Aufmerksamkeiten seinerseits nicht unangenehm wären. Das verstehe ich unter dem, was normal und richtig ist, Mr. Evan! Sie sind Sohn eines Vikars! Daß ich Ihnen so etwas überhaupt sagen muß!«
    »Vielleicht hätte sie es dem Betreffenden ja zu verstehen gegeben, wenn ihr seine Aufmerksamkeiten nicht unangenehm gewesen wären«, schlug Evan, der die letzte Frage ignorierte, mit großen Augen und der Miene eines Unschuldslamms vor.
    Runcorn war aus der Fassung gebracht. Er wußte nie so recht, was er von Evan zu halten hatte. Er sah so sanft und unschuldig aus mit seiner langen Nase und den haselnußbraunen Augen, aber irgendwie schien ihn immer alles ein bißchen zu amüsieren. Und da Runcorn nie wußte, was so komisch sein sollte, war ihm in seiner Gegenwart auch nie ganz wohl.
    »Wissen Sie etwas, Sergeant, was Sie uns nicht gesagt haben?« fragte er scharf.
    »Nein, Sir!« antwortete Evan und stellte sich noch gerader hin.
    Jeavis trat von einem Bein aufs andere. »Sie hatte an jenem Morgen einen Besucher, Sir, einen Mr. Taunton.«
    »Was Sie nicht sagen.« Runcorns Brauen hoben sich, und er setzte sich ruckartig nach vorn. »Na also, Mann! Was wissen wir über diesen Mr. Taunton? Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt, Jeavis?«
    »Weil er ein ausgesprochen respektabler Herr ist«, verteidigte sich Jeavis, der einige Mühe hatte, seinen Zorn zu zügeln.
    »Außerdem kam und ging er innerhalb von etwa zehn Minuten. Wenigstens glaubt eine der anderen Schwestern die Barrymore nach seinem Weggehen noch lebend gesehen zu haben.«
    »Oh!« Runcorn machte ein langes Gesicht. »Nun, dann vergewissern Sie sich da mal. Womöglich ist er wiedergekommen. Hospitäler sind sehr groß. Da kommt man ziemlich leicht rein und raus. Man braucht ja einfach bloß so reinzuspazieren, habe ich den Eindruck!« sagte er im Widerspruch zu seiner früheren Feststellung. Dann verschärfte sich sein Ausdruck. »Haben Sie denn überhaupt, nichts, Jeavis? Was haben Sie denn die ganze Zeit gemacht? Sie sind doch zu zweit! Da müssen Sie doch etwas erfahren haben!«
    »Wir haben etwas erfahren, Sir«, sagte er kühl. »Die Barrymore war der herrische, ehrgeizige Typ, mußte andere ständig herumkommandieren, aber sie war sehr gut. Sogar die, die sie am wenigsten leiden konnten, gestanden ihr das zu. Wie es den Anschein hat, hat sie

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