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Im Schatten der Gerechtigkeit

Im Schatten der Gerechtigkeit

Titel: Im Schatten der Gerechtigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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das Krankenhaus nicht. Schon der Geruch würgte ihn, von seinem Bewußtsein für den Schmerz und die Angst, die hier zu Hause sein mußten, ganz zu schweigen. Er sah die blutbefleckte Kleidung der Ärzte, die durch die Korridore eilten, die Berge schmutziger Verbände und Tücher, und hin und wieder sah und roch er eine Schwester mit einem Eimer voll menschlicher Exkremente.
    Aber mehr als all das beunruhigte ihn etwas anderes, etwas Persönliches, etwas, gegen das er nicht nur etwas tun konnte, sondern das zu ändern er sich moralisch verpflichtet fühlte. Es war die Art und Weise, wie die Ermittlungen in diesem Fall geführt wurden. Er war wütend und bitter gewesen, als die Ereignisse im Fall Moidore und Runcorns Stellungnahme dazu Monk zur Kündigung veranlaßt hatten. Aber er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, mit Jeavis zu arbeiten, und mochte er ihn auch weder mögen noch bewundern wie Monk, er wußte, er war kompetent und ein Ehrenmann.
    In diesem Fall freilich hatte Jeavis den Boden unter den Füßen verloren, jedenfalls Evans Eindruck nach. Die medizinische Beweislage war ziemlich eindeutig: Prudence Barrymore war von vorne angegriffen und erwürgt worden; man hatte keine Schnur benutzt. Die Spuren einer solchen wären deutlich zu sehen gewesen, und außerdem entsprachen die Flecken am Hals den Fingern einer kräftigen Person von etwa mittlerer Größe; es hätte jeder von einigen Dutzend Leuten sein können, die Zugang zum Krankenhaus hatten. Und sich von der Straße aus Eintritt zu verschaffen war nun wirklich einfach genug. Bei einem solchen Kommen und Gehen von Ärzten, Schwestern und Hilfskräften jeglicher Art wäre eine Person mehr oder weniger nicht aufgefallen. Noch nicht einmal um jemanden in blutgetränkter Kleidung hätte man sich Gedanken gemacht.
    Zuerst hatte Jeavis an andere Schwestern gedacht. Nach Evans Ansicht nicht zuletzt deshalb, weil es einfacher für ihn war, als sich mit den Wundärzten und Chirurgen herumzuschlagen. Diese waren ihm an Bildung und gesellschaftlicher Stellung überlegen, was Jeavis nervös machte. Als jedoch immer mehr Schwestern ein Alibi vorzulegen begannen – entweder sie waren in der fraglichen Zeit mit einer Kollegin zusammen oder bei einem Patienten gewesen –, hatte Jeavis sein Netz weiter auswerfen müssen. Er hatte den Kämmerer unter die Lupe genommen, einen aufgeblasenen Mann, den sein hoher Kragen zu drücken schien. Ständig verrenkte er sich den Hals und streckte das Kinn vor, als wolle er sich von ihm befreien. Er war jedoch nicht früh genug im Haus gewesen, ja er konnte sogar beweisen, zum fraglichen Zeitpunkt entweder noch zu Hause oder mit einer Droschke auf der Gray’s Inn Road unterwegs gewesen zu sein.
    Jeavis’ Gesicht hatte sich verspannt. »Nun denn, Mr. Evan, dann werden wir uns wohl mal die Patienten vorknöpfen müssen. Und falls wir unseren Mörder nicht unter ihnen finden, dann sind eben die Herren Doktoren dran.« Sein Ausdruck entspannte sich etwas. »Es gibt freilich immer noch die Möglichkeit, daß ein Außenstehender hereingekommen ist, vielleicht jemand, den sie kannte. Wir werden uns mal eingehender mit ihrem Charakter befassen müssen…«
    »Sie war doch kein Hausmädchen!« erwiderte Evan scharf.
    »In der Tat!« pflichtete Jeavis ihm bei. »Bei dem Ruf, den Krankenschwestern haben, würden die meisten Damen mit Hauspersonal sie wahrscheinlich erst gar nicht einstellen!« Auf seinem Gesicht zeigte sich der Anflug eines Lächelns.
    »Die Frauen, die mit Miss Nightingale auszogen, um die Soldaten zu betreuen, waren Damen!« Evan war außer sich, nicht nur um Prudence Barrymores, sondern um Hesters und wie er überrascht feststellen mußte – Florence Nightingales willen. Ein Teil seiner selbst war erfahren und weltgewandt genug, um für Heldenverehrung nicht allzuviel übrig zu haben; aber ein erstaunlich großer Teil verspürte einen enormen Stolz und das Bedürfnis, für sie einzutreten, wann immer er an die »Dame mit der Lampe« dachte und alles, was sie den leidenden, sterbenden Männern in jenem Alptraum fernab von der Heimat bedeutet hatte. Er verübelte Jeavis die indirekte Schmähung. Daneben freilich verspürte er eine gewisse Belustigung, als er daran dachte, was Monk jetzt gesagt hätte, er konnte seine schöne, sarkastische Stimme geradezu hören: »Typisch für den Sproß eines Vikars, Evan! Glauben jede hübsche Geschichte und bevölkern die Straßen mit Ihren eigenen Engeln. Sie hätten Geistlicher

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