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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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Ernst? Bist du sicher?«
    Ich zog den Stöpsel, schnupperte und versuchte, nicht zu würgen, als ich einen vertrauten Gestank wahrnahm.
    »Wenn ich genauer darüber nachdenke … Das Zeug riecht tatsächlich ein bisschen wie Medizin. Könnte es sein …?«
    Ich drehte mich zu dem Wächter um und zauberte ein idiotisches Lächeln auf mein Gesicht.
    »He, hier unten steht was geschrieben: ›Bei Entzündungen, Magenaufblähung und Erbrechen.‹ Das muss es sein.«
    Es gefiel mir nicht, wie die Finger des Wächters an seinem Schwertknauf zuckten.
    »Du bist mir eine große Hilfe gewesen«, fuhr ich rasch fort. »Das werde ich Moaradrid gegenüber betonen und großzügig vergessen, dass du zu Anfang ein wenig bockig warst.«
    Ich huschte zur Eingangsplane und duckte mich darunter hinweg nach draußen, bevor er auf den Gedanken kommen konnte, dass meine Enthauptung den anschließenden Ärger wert sein mochte.
    »Sieh nur, Salzleck!«, rief ich. »Wir haben die Medizin gefunden. Dein Leid ist gleich vorbei.«
    Ich hörte das Knistern der Plane, als mir mein Wachhund folgte. Zum Glück befand sich Salzleck genau dort, wo ich ihn zurückgelassen hatte – er hockte auf dem Boden und wirkte dadurch nur noch wie ein kleiner Berg –, und ich lief zu ihm.
    Mit ihm zwischen mir und den Wächtern goss ich den Inhalt der Flasche in den Schlamm, ließ es dabei laut platschen und rief: »Nicht so viel, Salzleck, lass für die anderen auch noch was übrig!«
    Ich steckte die Flasche ein, kletterte am Netz hoch und kehrte zu meinem Platz auf der Schulter des Riesen zurück. Zufrieden stellte ich fest, dass beide Wächter wieder an ihrem Posten standen. Sie erwiderten meinen Blick mit finsteren Mienen – und wenn schon. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, solange sie nicht versuchten mich umzubringen.
    »Meine Herren …«, rief ich. »Eure Hilfe war sehr, äh, hilfreich.« An Salzleck gerichtet fügte ich hinzu: »Schnell, wieder den Berg hinauf.«
    Er setzte sich sofort in Bewegung, und einige Momente später erreichten wir eine Stelle, wo andere Zelte den Wächtern den Blick versperrten. Ich atmete erleichtert auf, und erst dabei wurde mir klar, wie sehr ich mich gefürchtet hatte – und wie nahe ich daran gewesen war, mein Leben zu verlieren. Doch es war die Mühe wert gewesen. Rache und Reichtum zugleich, und alles in nur fünf Minuten! Nie wieder würde jemand meinen Namen ohne den gebührenden Respekt aussprechen, denn ich hatte mich als der größte Dieb weit und breit erwiesen.
    Wir hätten uns längst aus dem Staub machen sollen, aber viel zu deutlich fühlte ich den Lederbeutel in der verborgenen Manteltasche, und überhaupt, einige Sekunden mehr oder weniger machten sicher keinen großen Unterschied. Mit einem raschen Blick in die Runde vergewisserte ich mich, dass keine Soldaten oder Wächter in der Nähe waren.
    Daraufhin griff ich in die Tasche und holte den Beutel hervor. Befriedigend schwer lag er in meiner Hand. Ich zog an der Schnur, öffnete den Beutel, spähte hinein …
    Und vergaß fast das Atmen.

4
    W ährend der nächsten Stunden vermied ich es, in den Beutel zu schauen. Ich hatte auch so schon genug Herzklopfen.
    Es wäre ohnehin schwer gewesen. Salzleck lief Meile um Meile über die Straße, ohne müde zu werden oder sich von irgendetwas ablenken zu lassen. Und ich klammerte mich fest, beklagte die vielen wunden Stellen an meinem Körper – es wurden immer mehr – und versuchte, nicht an den Inhalt von Moaradrids Beutel zu denken.
    Zuerst kamen wir an Reisfeldern vorbei, endlosem Grün, das aus trübem Wasser ragte. Bauern wateten neben ihren sprießenden Pflanzen, alte Männer mit wie verschrumpelt wirkenden nackten Oberkörpern, und auch Frauen, die nassen Kleider an den Hüften verknotet. Ihre Haut war dunkel wie Leder, und beide Geschlechter trugen Hüte mit breiten Krempen, wodurch die Gesichter in den Schatten verborgen blieben. Sie sahen nicht auf, als wir vorbeikamen, und zeigten damit das typische Bauerntalent, Dinge zu ignorieren, die sie nichts angingen.
    Gegen Mittag wurden die Reisfelder seltener. Bis dahin waren wir größtenteils auf flachem Land unterwegs gewesen. Die Straße verlief immer in Sichtweite des Casto Mara, der angeschwollen und träge rechts von uns floss. Als wir uns der Region namens Buckel näherten, einem breiten Ausläufer des Berghangs, der den ganzen östlichen Bereich des Castoval in zwei Hälften teilt, geriet der Fluss immer öfter außer Sicht.

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