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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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Verlauf der letzten Stunde beträchtlich geschrumpft war. Ich durfte also keine lange Pause einlegen.
    »Ruh dich ein bisschen aus, Salzleck«, sagte ich. »Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
    Der Riese brummte, marschierte zu einem der kleinen Bäume und brach einen Ast ab. Mit einer großen Hand strich er darüber hinweg, riss die Blätter ab und stopfte sie sich in den Mund.
    »He, iss das nicht!«
    Er sah mich verwundert an.
    »Macht dich das nicht krank? Blätter zu essen?«
    »Gut«, erwiderte er nur und kaute.
    »Na schön, dann lass es dir schmecken«, sagte ich ein wenig verdrossen. Salzleck brauchte also nicht zu hungern, während mir der Magen knurrte. Wenigstens musste ich mir keine Sorgen darüber machen, wo ich genug Essbares für ihn auftreiben konnte, Riesenportionen für einen Riesen. Ich blieb bei meiner Absicht, ihn sich selbst zu überlassen, sobald die Luft rein war, aber bis dahin durfte er nicht tot unter mir zusammenbrechen.
    Wasser war ein Problem. Selbst wenn Salzleck den Magen eines Ochsen hatte, er brauchte Wasser wie jedes andere Lebewesen auch. Das bedeutete, wir mussten ein Dorf finden, falls wir nicht zum Fluss zurückkonnten.
    Doch darüber wollte ich derzeit nicht nachdenken. Mein Mund war trockener als der Felsen, auf dem ich saß, und es wurde immer heißer, aber meine Gedanken drehten sich wieder um den Lederbeutel. Ich holte ihn hervor und hielt ihn in der Hand, genoss sein Gewicht. Eine Zeit lang spielte ich mit der Schnur, zog erst ein wenig daran, dann noch etwas mehr, hielt dabei nach einem Glitzern im Innern des Beutels Ausschau. Schließlich ertrug ich es nicht länger, öffnete den Beutel ganz und sah hinein. Ein Seufzen entrang sich meiner Kehle, und fast wären mir Tränen gekommen.
    Der Beutel enthielt drei Dinge: Münzen, einige aus Onyx und ein halbes Dutzend aus Kupfer, genug Geld, um ein gutes Pferd zu kaufen oder eine Woche zügellos zu zechen; einen Stein, dunkelbraun und mit roten Streifen, etwa so groß wie ein Gänseei; und den größten Rubin, den ich je gesehen hatte.
    Deshalb die Tränen, die ich fast vergossen hätte: Nie zuvor in meinem ganzen Leben war mir etwas Schöneres als dieser Rubin unter die Augen gekommen, doch ich wusste, dass ich ihn nicht behalten durfte. Die wertvollste Beute, die ich jemals in der Hand gehalten hatte, und ich konnte nichts mit ihr anfangen. Kein Hehler im Castoval hätte mir auch nur ein Hundertstel seines Wertes gegeben, erst recht dann nicht, wenn bekannt geworden wäre, woher der Rubin stammte. Er war zu wertvoll, um ihn lange zu behalten. Die Vernunft verlangte von mir, ihn loszuwerden, je schneller desto besser.
    Allein der Gedanke daran brach mir das Herz.
    Ich zog den Beutel zu, steckte ihn wieder ein und richtete meine Aufmerksamkeit auf Salzleck, der noch immer Blätter in sich hineinstopfte, von einem Baum, der inzwischen kaum mehr welche trug. Meine erste Schätzung seiner Größe – etwa die von zwei Männern – war nahezu richtig gewesen. Seine Körperproportionen entsprachen etwa denen eines Menschen, obwohl die Arme länger waren und die Beine kräftiger. Er war geradezu wunderbar hässlich: der Kopf rund, mit einer breiten, rechteckigen Kieferpartie, großen ovalen Augen und einigen fedrigen Haarbüscheln auf der weiten Kuppel seines Schädels. Sein Gesicht hatte etwas Reizvolles, das mir bisher nicht aufgefallen war, eine gewisse gutmütige Dummheit. Erneut fragte ich mich, wie Moaradrid so mächtige und doch sanftmütige Geschöpfe dazu gebracht haben konnte, für ihn auf dem Schlachtfeld zu kämpfen. Was hatte ihm die Möglichkeit gegeben, eine ganze Gruppe solcher Kreaturen unter seine Kontrolle zu bringen?
    »Wie fühlst du dich, Salzleck?«, fragte ich.
    Er nickte übertrieben. »Gut.«
    »Kannst du wieder laufen, was meinst du?«
    »Von morgens bis abends laufen.« Die Blätter eines ganzen Baums schienen eine gute Mahlzeit für ihn darzustellen.
    »Ich wäre fast bereit, mich für einen Becher Wasser zu ergeben. Machen wir uns wieder auf den Weg.«
    Den größten Teil des langen Nachmittags verbrachte ich damit, auf Salzlecks breiter Schulter nach einer bequemeren Position zu suchen. Ich kniete, hockte und saß nach vorn gerichtet, ließ meine Beine über seiner Brust baumeln. Einmal, aus reiner Verzweiflung, versuchte ich es sogar mit Stehen, was fast einen Sturz zur Folge gehabt hätte. Nichts half. Jeder Laufschritt des Riesen bescherte mir noch mehr Schmerzen.
    Wenn ich nicht gerade

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