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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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Beutel rutschte mir in die Hand.
    Als ich mich umdrehte, begegnete ich Salzlecks finsterem Blick. »Aufhören stehlen!«
    »Ich glaube nicht«, erwiderte ich. »Nicht wenn es einen ganzen Palast voller Reichtümer gibt, in dem man sich bedienen kann.« Ich nahm den Anführer-Stein aus dem Beutel und hob ihn in die Höhe. »Und nicht, solange ich einen Riesen habe, der mir hilft.«

18
    I nnerhalb weniger Sekunden huschten mehr Gefühle über Salzlecks Miene als in all der Zeit zuvor, die wir uns kannten. Die Parade begann mit Freude, als hätte er gerade einen lange vermissten Freund wiedergefunden. Es folgten Verdutztheit und Sorge, woraufhin die Freude kurz zurückkehrte, um sofort Bestürzung zu weichen. Den Abschluss bildete vages, verwirrtes Entsetzen.
    »Wie …«, begann er, brachte die Frage aber nicht zu Ende und streckte stattdessen die Hand nach dem Stein aus. Ich überlegte, was ich tun sollte, wenn er versuchte, ihn mir wegzunehmen – an diese Möglichkeit hatte ich bis dahin gar nicht gedacht. Aber Salzlecks Hand verharrte, bevor sie den Stein berühren konnte. »Wie?«, wiederholte er im Tonfall von jemandem, der fragte, auf welche Weise eine geliebte Person gestorben war.
    »Wichtig ist, dass ich ihn habe, und das macht mich zu deinem Anführer. Habe ich recht? Du musst tun, was ich dir sage, auch wenn es dir nicht passt?«
    Salzleck nickte und ließ die Schultern hängen, was vermutlich bedeutete, dass er wusste, worauf dies hinauslief.
    »Ausgezeichnet. Jetzt hör gut zu …«
    Ich gab ihm seine Anweisungen so langsam und genau wie möglich, und anschließend wiederholte ich sie noch einmal, um ganz sicherzugehen. Mit jedem Wort wirkte er noch niedergeschlagener und geknickter, und ich kann ehrlich sagen, dass er mir ein bisschen leid tat. Moaradrid, Mounteban, Alvantes, der Idiot namens Panchetto und vor allem Estrada, sie alle hatten mich auf die eine oder andere Art getäuscht und manipuliert. Salzleck hatte in meiner Gegenwart nie Schlimmeres getan als seine Fußnägel gereinigt.
    Doch ich wollte mich nicht von Mitgefühl behindern lassen. Nicht an diesem Abend, nicht da ich es schon so weit gebracht hatte. »Hast du alles verstanden? Bist du sicher? Dann geh los und vermassele die Sache nicht.«
    Nach einem letzten kummervollen Blick auf die schlafende Estrada wankte Salzleck hinaus. Ich hörte seine Schritte im Flur, als er in Richtung Ställe stapfte, setzte mich aufs Bett und wartete. Estrada gab ein leises protestierendes Geräusch von sich und rollte sich auf die andere Seite. Der Schlaftrunk hatte ihre Vorbereitungen fürs Bankett zunichte gemacht. Ihr Haar war zerzaust, und es rann ihr noch immer Speichel übers Kinn. Andererseits wirkte ihr Gesicht jetzt völlig unschuldig. Zusammen mit dem durchs Fenster fallenden Mondschein bekam sie dadurch etwas Weiches und Sanftes. Ich konnte fast erkennen, warum Mounteban sie so attraktiv fand.
    Ich schauderte. Besser er als ich!
    Ich stand auf und trat in den Flur. Die Lampen an den Wänden brannten nicht, wahrscheinlich deshalb, weil die Party erst viel später enden sollte. Ich glaubte, eine Bewegung am Ende des Flurs zu bemerken, aber was auch immer es war, es verschwand in dem Moment, als ich den Blick darauf richtete. Ein Spion in Panchettos Diensten? Das hoffte ich. »Ich sehe später noch einmal nach dir, Marina«, flüsterte ich laut genug, damit mich verborgene Lauscher hörten. »Keine Sorge. Ich bin gleich nebenan.«
    Ich kehrte zu meinem eigenen Zimmer zurück und schaute unterwegs überallhin, nur nicht dorthin, wo ich die Bewegung gesehen hatte. Drinnen vergewisserte ich mich, dass der Vorhang ganz zugezogen war und niemand vom Flur hereinspähen konnte. Als ich sicher war, dass mich niemand beobachtete, ging ich zum Bett, zog so leise wie möglich die Laken ab und legte sie auf den Boden.
    Die nächsten Minuten verbrachte ich damit, Bettlaken miteinander zu verknoten, ohne dabei verdächtige Geräusche zu verursachen. Schließlich hatte ich ein Seil so lang wie das Zimmer. Ich band das eine Ende ans Bettgestell, das aus massivem Holz bestand und schwer genug war, um mein Gewicht zu tragen. Dann legte ich das Laken-Seil aufs Bett – falls man mich überraschte, wurde es vielleicht nicht sofort erkannt.
    Es war nicht unbedingt der originellste Plan, den ich mir je ausgedacht hatte. Aber manchmal sind die alten Tricks am besten, und die Alternative hätte darin bestanden, ein Seil in den Palast zu schmuggeln, was kaum möglich

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