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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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meinem miserablen Leben in den vergangenen Wochen verblüffte mich die Vorstellung, dass sich so viele so unterschiedliche Speisen in meiner Reichweite befanden. Um von meiner ungeschickten Bemerkung abzulenken, und auch aus Neugier, deutete ich auf einen Teller und fragte Estrada: »Was ist das?«
    »Gewürzte Fischeier, Damasco.«
    »Oh. Und das da?«
    »Gefüllte Haselmäuse, nehme ich an.«
    »Wirklich? Und dies?«
    »Damasco«, sagte Estrada, »wann soll ich etwas essen, wenn ich den ganzen Abend damit verbringen muss, dir die Speisen zu erklären?«
    Ich wurde wieder still und sah mich am Tisch um. Offenbar war ich nicht der Einzige, der der Großzügigkeit unseres Gastgebers mit Skepsis begegnete. Moaradrid aß nur wenig und rührte nichts an, das nicht zuvor seine Leibwächter probiert hatten. Die Paranoia war vermutlich angemessen für einen Mann seines Standes, aber ich sah mich keinen derartigen Zwängen ausgesetzt – wer mich tot sehen wollte, machte sich bestimmt nicht die Mühe, mich zu vergiften. Ich entschied, ein bisschen von allem in Reichweite zu probieren, bis mein Teller randvoll war. Ich schob den Löffel in die überquellende Masse, und im gleichen Augenblick erklang eine näselnde Stimme. »Inzwischen haben sich unsere neuen Gäste sicher an unsere Gesellschaft gewöhnt. Vielleicht können wir nun die Gelegenheit nutzen und über diesen unsinnigen Krieg reden.«
    Zum Glück hatte ich den Mund nicht voll; andernfalls wäre ich vielleicht erstickt. Neben mir prustete Estrada.
    »Angeblich hat das alles etwas mit einem Stein zu tun. Das kann doch nicht wahr sein, oder? Moaradrid, Lady Estrada, meine lieben Freunde, bitte sagt mir, dass ihr keine Feindseligkeit hegt, nur weil ihr etwas so Dummes wie einen Stein vermisst.«
    Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. Da das kaum möglich zu sein schien, begnügte ich mich damit, so tief wie möglich in die Kissen zu kriechen. Mit einem kurzen Blick zur Seite versuchte ich festzustellen, wie Salzleck auf die Erwähnung des Riesen-Steins reagierte. Die Antwort lautete: überhaupt nicht. Entweder hatte er nicht verstanden, worum es ging, oder er hörte nicht zu, denn seine Aufmerksamkeit galt der vor ihm stehenden großen Gemüseschüssel.
    Weder Moaradrid noch Estrada machten Anstalten, die Frage des Prinzen zu beantworten. Mit gespielter Verzweiflung fügte er hinzu: »Könnt ihr mir wenigstens sagen, wie dieser Unsinn begonnen hat?«
    »Die Einzelheiten spielen keine Rolle«, sagte Moaradrid. Es klang wie fernes Gewittergrollen. »Der Dieb hat gestohlen, was mir gehört.«
    »Aber das ist doch bestimmt nicht Grund genug, einen solchen Groll zu hegen, oder?«
    Wenn ich bisher gehofft hatte, dass meine schlimmsten Befürchtungen nicht zutrafen, so sah ich mich nun eines Besseren belehrt. Das von Panchettos Tischende kommende Gekicher wies mich deutlich darauf hin, wie sehr die Freunde des Prinzen seinen Spott genossen.
    Es überraschte mich, dass es Moaradrid nicht weiter schwerzufallen schien, seine kühle Ruhe zu bewahren. »Vielleicht nicht, Hoheit. Aber es gibt so etwas wie Ehre. Es wäre besser für alle Beteiligten, wenn ich den gestohlenen Gegenstand so bald wie möglich zurückbekäme.«
    »Ihr habt ihn selbst gestohlen.« Ich konnte die Worte nicht zurückhalten; sie platzten aus mir heraus. Am liebsten hätte ich sie sofort zurückgenommen, aber da das nicht möglich war, fuhr ich fort: »Ich sage nicht, dass ich den Stein habe, aber wenn ich ihn hätte, würde ich ihn vielleicht dorthin zurückbringen, wo er hingehört.«
    »Na so was, ein altruistischer Dieb«, quiekte Panchetto. »Was haltet Ihr davon, Freund Moaradrid?«
    »Diese Kinderei langweilt mich.«
    Daraufhin wurde es still am Tisch. Ob die Bemerkung nun mir oder dem Prinzen galt, sie war eklatant genug, selbst Panchetto zum Schweigen zu bringen.
    Die Bediensteten verstanden die Stille – und vielleicht auch den Umstand, dass nur noch Salzleck aß – falsch und begannen mit dem Abräumen. Wie zuvor vertrieb ihr Erscheinen einen Teil der Anspannung, und wie zuvor wusste ich, dass wir nur eine Atempause erhielten.
    Der Prinz wählte ein anderes Thema und wandte sich dabei demonstrativ an die in seiner Nähe sitzenden Personen. Moaradrid saß reglos da, die Augen fast geschlossen und die Hände flach auf den Tisch gelegt, wie bei einer Meditation. Ich konnte ihn atmen hören, jeder Atemzug scharf wie ein zustoßendes Messer. Ich sah zur Seite und bemerkte den besorgten

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