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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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beleuchtet wie der ein Stockwerk darüber. Ich schnippte eine Münze zur gegenüberliegenden Wand und wartete. Eine ganze Minute verstrich, ohne dass jemand nach dem Rechten sah, und daraufhin war ich überzeugt, dass sich keine Wächter in der Nähe befanden. Warum sollte der Flur auch bewacht werden? Immerhin rechnete niemand damit, dass jemand im Innern des Palastes auf Diebestour ging. Vom einzigen bekannten Dieb weit und breit nahm man an, dass er im Bett lag und schlief.
    Jeweils vier Zimmer grenzten auf beiden Seiten an den Flur, und ich durchsuchte sie alle. Nach einigen ähnlichen Funden wie denen im Quartier des Dicken und einem Raum, der nichts von Wert enthielt, machte sich Niedergeschlagenheit in mir breit. Dann entdeckte ich in Nummer sechs einen prall gefüllten Geldbeutel und mit Edelsteinen besetzte Ohrringe, die mich für meine nächtlichen Mühen entlohnten. Ich warf einen kurzen Blick in die letzten beiden Zimmer, dachte an die bereits verstrichene Zeit und kehrte in die Unterkunft des Dicken zurück. Ich hatte meine Beute vor dem Fenster abgelegt, und das Ergebnis bestand aus einem glitzernden Haufen, der sich dort angesammelt hatte.
    Ich beugte mich aus dem Fenster und klopfte an die Mauer, bis Salzleck hochsah. Zuerst nahm ich den Geldbeutel und gab dem Riesen zu verstehen, dass ich ihn fallen lassen wollte. Er machte sich bereit und hob die Hände. Ich ließ den Beutel los und rechnete halb damit, dass der Riese danebengriff, der Geldbeutel auf dem Boden landete und lautes Klimpern und Klirren den ganzen Palast alarmierte. Aber dem war nicht so. Salzleck fing den Beutel auf und legte ihn zu Boden, wie ich es ihm gesagt hatte. Auch bei den nächsten beiden Gegenständen erwies er sich als recht geschickt, und den übrigen Kram steckte ich ein.
    Ich hatte geplant, die Laken des Dicken mit meinem Seil zu verbinden, nahm aber Salzlecks Erfolg und die verstrichene Zeit zum Anlass, so schnell wie möglich nach unten zu klettern und mich das letzte Stück fallen zu lassen. Salzleck fing auch mich auf, und zwar erstaunlich sanft. Ich sah ihn mit neuem Respekt an, denn der Riese hatte sich als tüchtiger Partner erwiesen. Fast hätte ich es mir noch einmal überlegt, ihn zurückzulassen, wenn dies alles hinter uns lag.
    Nein, es war besser für uns beide, wenn wir uns nach dieser Nacht nie wiedersahen. Salzleck konnte zu seinem Volk zurückkehren und ich zu meinem Leben, aus dem man mich vor all diesen Tagen herausgerissen hatte.
    Ich betrachtete den Schatzhaufen zu unseren Füßen. Diesmal würde alles anders sein – ich war reich.
    Eine Minute verbrachte ich damit, Geldbeutel, lose Münzen, Schmuck, Schal und einen silbernen Kerzenhalter, der mir gefiel, in den zahllosen Taschen zu verstauen, mit denen der Schneider Salzlecks Mantel ausgestattet hatte. Die weite Kleidung und die massige Gestalt täuschten über verdächtige Ausbuchtungen hinweg, wenn man nicht zu genau hinsah. Und die Polster, auf die ich bestanden hatte, dämpften verdächtiges Klimpern. Alles lief nach Plan.
    »Wird Zeit, dass wir von hier verschwinden«, flüsterte ich – und erstarrte, als ich Schritte hörte.
    Für einen Moment verharrte ich in völliger Reglosigkeit, und dann merkte ich plötzlich, dass mein rechtes Bein halb aus den Schatten ragte. »Zurück!«, zischte ich lauter als beabsichtigt und zog Salzleck mit mir in die Dunkelheit.
    Ich drückte mich an die Wand und hielt Salzleck mit einer Hand neben mir fest. Konnte man uns sehen? Wie dumm von mir. Nur ein Blinder hätte einen Riesen im Halbdunkel nicht bemerkt.
    Die Schritte kamen näher. Meine Furcht machte sie vielleicht lauter, als sie in Wirklichkeit waren, denn ich glaubte fast, dass sich uns ein Zugpferd näherte – bis ich schließlich den Wächter bemerkte. Mit steifen Schritten patrouillierte er zwischen Palast und Außenmauer. Er trug keine Fackel, aber seine Rüstung war so gut poliert, dass sie regelrecht schimmerte.
    Immer näher kam er. Ich konnte erkennen, dass die Finger um den Griff des Schwerts an seiner Hüfte geschlossen waren. Suchte er uns? Würde Salzleck ihn erledigen, wenn ich ihn dazu aufforderte? Wegzulaufen kam nicht infrage. Unter dem Helm zeichneten sich vage die Züge eines markanten Gesichts ab. Die Entfernung schrumpfte weiter, als er einen Fuß vor den anderen setzte und in die Nacht starrte, ohne einen Blick nach rechts und links …
    Es gibt einen Unterschied zwischen einem disziplinierten und einem guten Wachsoldaten. Der

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