Im Schatten der Giganten: Roman
gewesen wäre.
Jetzt kam der schwierige Teil. Warten war mir immer schwergefallen, und die nächsten Minuten verstrichen mit der Geschwindigkeit einer durch Sirup kriechenden Maus. Ich hatte mir den Kopf darüber zermartert, wie ich Salzleck von den Ställen dorthin bringen konnte, wo ich ihn brauchte. Es wäre sicher nicht annähernd so viel Dramatik nötig gewesen, wenn ich einen bereitwilligen Helfer gehabt hätte, vor allem aber einen, der nicht so groß war wie ein Nebengebäude. Mir blieb nichts anderes übrig, als Salzleck möglichst viel Zeit zu lassen, so schwer es mir auch fiel. Ich ging davon aus, dass Panchetto den Riesen nicht für interessant genug hielt, um ihn zu bewachen. Hoffentlich ließ er sich von der Präsenz eines berüchtigten Diebs in seinem Palast dazu verleiten, seine Aufmerksamkeit auf mich zu konzentrieren.
Ich fuhr fast aus der Haut, als ich hörte, wie die Tempelgongs Mitternacht schlugen. Das war das mit Salzleck vereinbarte Zeichen. Alles in mir drängte danach, zum Fenster zu laufen, obwohl er sicher eine Weile brauchte, um die Ställe zu verlassen und sich zurechtzufinden. Schließlich stand ich auf, schlich zum Fenster und zog das improvisierte Seil hinter mir her. Ich zählte bis dreißig. Als noch nichts von Salzleck zu sehen war, zählte ich erneut, und zwar etwas langsamer. Noch immer nichts. Ich versuchte, mich an die Namen aller Frauen zu erinnern, mit denen ich geschlafen hatte, und als ich begriff, dass es nicht annähernd so lange dauerte, wie ich mir erhofft hatte, fügte ich individuelle Haarfarbe und Eigenarten hinzu.
Nichts. Salzleck ließ sich nicht blicken. Er hatte mich verraten, seinen Freund und Anführer. Oder man hatte ihn gefasst, und in dem Fall musste ich jeden Moment mit dem Erscheinen von Wächtern rechnen. Vielleicht war der Dummkopf eingeschlafen, oder …
Ein großer Schatten fiel unten auf den Hof, und einen Moment später erschien Salzleck. Einmal mehr fiel mir auf, wie wenig er sich für Heimlichkeiten eignete. Als ich ihn beim Schleichen beobachtete, musste ich an einen Baum denken, der leise umzustürzen versuchte.
Dennoch war ich froh, als er mich sah und winkte. Ich bedeutete ihm, genau unter meinem Fenster stehen zu bleiben.
Es war eine mondlose, finstere Nacht, wie es meinen Erwartungen entsprach. Was ich bisher von Panchettos Sicherheitsmaßnahmen gesehen hatte, ließ mich vermuten, dass er die Gefahren eines Einbruchs und Diebstahls für vernachlässigenswert hielt. Oder er vertraute zu sehr darauf, dass niemand die Außenmauern erklettern und am Wachhaus vorbeigelangen konnte. Soweit ich bisher festgestellt hatte, gab es keine Patrouillen. Wenn doch irgendwo Wächter unterwegs waren, so mussten wir darauf vertrauen, dass die Finsternis genügte, um Salzleck zu verbergen.
Ich warf das Seil aus dem Fenster und beobachtete, wie es fiel, in der Hoffnung, dass die Nacht auch die zusammengebundenen Laken verbarg. Glücklicherweise waren sie violett gefärbt und nicht weiß. Sie reichten nur halb bis zum Boden, was für meine Zwecke aber völlig genügte. Ich kletterte auf den Fenstersims und schnappte in der Kühle nach Luft, als mich kurzer Schwindel erfasste. Das Seil gab ein Stück nach und hielt dann. Vom Bett kam ein leises Knarren, doch es blieb an Ort und Stelle.
Ich erlaubte mir ein erleichtertes Seufzen, ließ mich langsam zum nächsten Fenster hinab und fühlte dabei Salzlecks Blick auf mir ruhen. War er um meine Sicherheit besorgt, oder wünschte er sich vielleicht, dass ich zu Tode stürzte? Ich erreichte den Fenstersims, sprang leise auf den Boden des Zimmers und holte das restliche Seil ein.
Das Zimmer unter meinem war genau so, wie ich es in Erinnerung hatte. Zwei Schritte mehr, und ich wäre ins Becken gefallen, das jetzt kein Wasser mehr enthielt. Panchettos dicker Gast weilte offenbar noch beim Bankett, und hoffentlich blieb er dort noch eine Weile.
Was nicht bedeutete, dass ich mir viel Zeit lassen konnte.
Meine Augen hatten sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt, und so machte ich mich sofort ans Werk. Es gab nicht viele Möbel: ein eingebauter Schrank wie der in meinem Zimmer, eine Kommode mit geschwungenen Beinen und Griffen aus geschmiedetem Metall und Nachtschränkchen zu beiden Seiten des Bettes. Ich fand ein paar Münzen, ein silbernes Karneolamulett und zwei Schals aus Seide. Nicht viel, aber wenigstens ein Anfang.
Ich schlich zum Vorhang in der Tür und spähte hinaus. Dieser Flur war ebenso wenig
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