Im Schatten der Giganten: Roman
Blick, den Estrada auf Alvantes richtete, als wollte sie ihn fragen: Wie weit wird dies gehen?
Die Frage ließ sich relativ leicht beantworten. Panchetto würde nicht damit aufhören, Moaradrid zu provozieren, und Moaradrid würde nicht immer und ewig still sitzen bleiben und die Provokationen des Prinzen über sich ergehen lassen.
Ich konnte nicht länger warten.
»Sie bringen unser Essen weg«, klagte ich so kummervoll, als versuchte das erschienene Dienstmädchen mir einen Bissen aus dem Mund zu nehmen. »He, was soll das? Ich habe noch gar nichts davon probiert.« Ich langte nach einigen Fleischstreifen am Rand von Estradas Teller und stieß dabei gegen ihr Glas, dessen Inhalt über den Tisch spritzte.
»Verdammt! Keine Sorge, ich hole dir ein anderes.«
Ich schnappte mir den Kelch, sprang auf und jagte dem Dienstmädchen hinterher. Sechs halbnackte Schönheiten hatten nur die eine Aufgabe, die Gläser aller Gäste mithilfe einer Amphore gefüllt zu halten. Ich stellte das wieder volle Glas vor Estrada ab, die es mir mit einem finsteren Blick dankte.
Die Bediensteten arbeiteten mit geradezu brutaler Tüchtigkeit. Nach kaum einer Minute war der erste Gang, den wir kaum angerührt hatten, verschwunden. Unmittelbar darauf kam der Hauptgang: ein riesiger Keiler, der nach heißem Fett und süßem Wein roch. Es folgten: Schüsseln mit Reis, ein Teil davon mit eingelegtem Obst oder Meeresfrüchten vermischt; Servierplatten beladen mit Gemüse von jeder Sorte, auf jede nur mögliche Art zubereitet; außerdem eine Menge Gebäck, Brot und Zuckerwerk. Mir war danach, diese ungeheure Verschwendung und Völlerei zu verdammen, ich sah mich aber nicht dazu imstande, denn immerhin saß ich mittendrin. Ich beschränkte mich auf Ehrfurcht und überlegte, wie ich jemals zu einem Leben in Armut zurückkehren sollte.
Ich zog meine Lehren aus dem verpassten ersten Gang, hörte auf die Stimme meines knurrenden Magens, nahm mir ein ordentliches Stück Fleisch und haute rein. Dies war ohne jeden Zweifel die beste und üppigste Mahlzeit meines Lebens, und ich wollte versuchen, von möglichst vielen Köstlichkeiten zu probieren, bevor der Prinz seine unkonventionelle Unterhaltung fortsetzte.
Normalerweise hätte meine wilde, wölfische Fresserei Kommentare herausgefordert, aber an diesem Abend hätte ich mir vermutlich den Inhalt eines Tellers auf den Kopf schütten müssen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Alle, die nicht mit dem Prinzen sprachen, starrten Salzleck an, der sich halb durch eine mit Gemüse gefüllte Terrine gearbeitet hatte, die für ein halbes Dutzend normale Leute gereicht hätte. Seit dem ersten Gang aß er mit ruhiger Ausdauer und wurde nicht langsamer. Es lag etwas schrecklich Faszinierendes in der Art und Weise, wie er sich eine Handvoll nach der anderen in den Mund stopfte. Viele Gäste des Prinzen, vor allem die Frauen unter ihnen, waren so hingerissen, dass sie vergaßen, selbst etwas zu essen.
Panchetto hielt Salzleck offenbar für ausreichend Unterhaltung, denn er beschränkte seine Gespräche auf die bei ihm sitzenden Leute. Zuerst freute ich mich darüber, dass er uns in Ruhe ließ, aber als die Stille unter den anderen Gästen andauerte, wuchs erneut die Anspannung, bis selbst das Kauen an meinen Nerven zerrte. Ich bekam Magenschmerzen und wünschte, das Fläschchen in meiner Tasche hätte tatsächlich Medizin enthalten.
Ich schob meinen Teller beiseite und lehnte mich zurück. Andere Gäste am Tisch verhielten sich ähnlich, hörten ganz mit dem Essen auf oder nahmen nur noch den einen oder anderen kleinen Bissen. Der Blick des Prinzen huschte am Tisch entlang, registrierte hier ein Gähnen und dort ins Leere starrende Augen. Ich ahnte Schlimmes.
»Ich verstehe wirklich nicht, warum ihr alle nach Altapasaeda gekommen seid«, sagte Panchetto, als wären nicht Minuten vergangen, sondern nur einige wenige Sekunden. »So entzückend eure Gesellschaft auch sein mag, ihr wisst bestimmt, dass wir hier nichts von Zank halten.«
»Wir wollten unsere Probleme nicht zu Euch tragen, Prinz«, erwiderte Estrada. Es waren die ersten Worte, die sie an diesem Abend an den Prinzen richtete, und sie sprach ein wenig undeutlich. »Unser Leben war in Gefahr, und es gab keinen anderen Ort, der uns Sicherheit bot.«
»Euer Leben war in Gefahr? Moaradrid, sagt mir, dass das nicht stimmt.«
»Der Dieb hat mir etwas gestohlen. Die Frau beschützt ihn. Das ist ihr Fehler.«
»Ein Fehler, den ich wiederhole, wie?«
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