Im Schatten der Königin: Roman
sie wissen. Also hieß das doch, dass sie von Robin Dudley erwartete, nicht nur auf die Autorität eines Ehemannes und die Macht eines Königs zu verzichten, sondern auch auf das, was jeder Bettler von seiner Frau erwarten konnte!
Ich öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass sie sich dergleichen sofort aus dem Kopf schlagen konnte, vor allem bei Robin Dudley, denn wenn jemand nicht den Eindruck machte, zum Mönch berufen zu sein, dann er. Ich wollte damit beginnen, dass sie als Jungfrau eben falsche Vorstellungen von der Männerwelt habe – doch dann blieben mir die Worte in der Kehle stecken, ehe ich sie äußern konnte. Auf einmal stand der tote Lord Admiral wieder zwischen uns. Ich habe es nie fertiggebracht, sie zu fragen, was genau Thomas Seymour mit ihr getan hatte; dass sie danach noch virgo intacta war, weiß ich mittlerweile, weil Elizabeth in dem Brief, in dem sie den Regentschaftsrat aufforderte, mich und Mr.Parry freizulassen – dem Brief, in dem sie verlangte, der Rat solle die Gerüchte, sie erwarte ein Kind von Thomas Seymour, öffentlich zurückweisen –, auch sagte, sie wäre bereit, sich von jedem Arzt bei Hofe untersuchen zu lassen, damit er bestätigen könne, dass sie noch Jungfrau sei. Als verheiratete Frau weiß ich aber auch, dass jene medizinische Art von Jungfräulichkeit nichts über den Zustand der Seele besagt, weil es zwischen Männern und Frauen sehr viel mehr gibt, das getan werden kann, als nur jenen einen Akt. Erst recht für einen Mann wie Seymour, der alle Erfahrung der Welt hatte, um zu handeln, ohne Spuren zu hinterlassen.
Ich konnte nicht mit ihr darüber reden. Es war undenkbar! Ich konnte sie nicht fragen, ob sie tatsächlich plante, als Jungfrau zwar dem Begriff, doch nicht dem Geiste nach zu leben, weil die Scham mir die Zunge band. Doch zum Glück gab es andere Einwände, die ich aussprechen konnte.
»Kein Mann«, wiederholte ich, »wird so leben wollen, und schon gar kein Dudley. Die ganze Familie ist von Ehrgeiz zerfressen. Denkt doch nur an seinen Vater: Wenn John Dudley Eurem Bruder nicht auf seinem Sterbebett noch eingeredet hätte, Eure Base zu seiner Erbin zu machen, dann würde man ihn heute noch als umsichtigen Regenten preisen. Man sollte meinen, der erste Minister im Königreich zu sein wäre genug für ihn gewesen, doch nein, er wollte sein eigen Fleisch und Blut auf dem Thron sehen. Wie der Vater, so der Sohn.«
»Vielleicht«, sagte sie, hörte auf, so zu tun, als lese sie Briefe, und wirbelte wieder zu mir herum. »Vielleicht. Ich bin nicht blind, weißt du. Aber weil ich selbst im Tower saß und mir sagte, nie wieder werde ich machtlos sein, wie kann ich da nicht verstehen, dass es ihm ganz genauso ging? Ich habe dir gesagt, ich bin seiner Freundschaft sicher, aber ob er nun mich oder meine Krone mehr liebt, das steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber siehst du nicht, Kat, die Zeit wird es weisen. Du sagst, dass kein Mann auf der Welt sich auf das einlassen würde, was mir vorschwebt. Nun, einer, dem es ausschließlich um meine Krone geht, der wird es ganz gewiss nicht tun. Die Zeit wird es weisen«, wiederholte sie und setzte sich wieder.
Ich wünschte, ich könnte mich ebenfalls setzen. Mir war schwindlig.
»Und wenn er nun schuldig ist?«, fragte ich schließlich.
»Hast du Neuigkeiten aus Cumnor?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ihr habt aus gutem Grund verlangt, dass die Geschworenen erst nach einer Woche ein Urteil sprechen«, sagte ich. »Selbst, wenn ich nichts aus Cumnor hören sollte, werden sie das tun. Was also, wenn sie sagen, dass my lady Dudley durch Gewalt zu Tode kam? Selbst wenn Lord Roberts Name dabei nicht genannt wird, käme das in den Augen der Welt einem Schuldspruch gleich. Werdet Ihr ihn dann aufgeben?«
»Cecil hat mich das heute Morgen auch schon gefragt«, entgegnete sie, und ihre Augen verengten sich. »Man möchte meinen, ihr beide hättet euch abgesprochen.«
Das Falscheste, was man als Getroffener in dieser Lage tun kann, ist es, zu protestieren, obwohl mich die Unterstellung zutiefst kränkte. Mehr kränkte, weil ein Teil von mir sich schuldig fühlte. Oh, nicht Cecils wegen. Mein gestriges Gespräch mit ihm war alles andere als eine Verschwörung gewesen und hatte mich eher misstrauisch ihm gegenüber gemacht, als mich für ihn eingenommen. Aber ich konnte nicht zu ihr sagen: »Ich würde nie hinter Eurem Rücken handeln«, wenn mir nach wie vor im Kopf herumging, dass Robin Dudley vielleicht doch besser tot
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