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Im Schatten der Königin: Roman

Im Schatten der Königin: Roman

Titel: Im Schatten der Königin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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unsere Mode eingeführt zu haben; um ihren sechsten Finger an der linken Hand zu verbergen, wie der Klatsch behauptete. Ich habe Königin Anne oftmals aus der Nähe gesehen und kann daher beschwören, dass diese Geschichte über das Wahrzeichen einer Hexe Unsinn war. Sie trug ganz einfach gerne Kleider mit weiten Ärmeln, vorwiegend schwarze, was vor ihr kaum eine Dame tat, wenn es nicht die Trauerpflicht gebot.
    Eine schöne Frau ist blond, so heißt es, mit blauen Augen, doch Anne war schwarzhaarig und schwarzäugig, und Schwarz zu tragen, betonte das, statt es zu verbergen. Niemand, der sie auch nur einmal gesehen hat, wird sie je vergessen. Man vergötterte oder verabscheute sie; gleichgültig ließ sie niemanden, und wenn sie einen Raum betrat, selbst als sie einfach nur Thomas Boleyns jüngere Tochter war, dann bemerkte das jeder.
    Nach ihrem Tod trugen die Frauen bei Hofe natürlich ganz und gar kein Schwarz; schließlich hatte der König angeordnet, seine neue Heirat mit Jane Seymour zu feiern. Mein Mädchen hat erst Trauer getragen, als ihr Vater starb, und nach dem Vorfall, bei dem ihr Kleid zerschnitten wurde, sofort wieder damit aufgehört. Als Königin konnte sie natürlich jede Farbe wählen, die sie wollte, aber sie ist dem Schwarz weiterhin ausgewichen, von einigen wenigen Teilen einmal abgesehen. Bis jetzt.
    Elizabeths Schneider mussten nie viel arbeiten, um ihre Wünsche zu erfüllen, nur neu kombinieren. Schließlich besteht ein Kleid aus so vielen Einzelteilen, die nur von Nadeln zusammengehalten werden: den Ärmeln, dem Mieder, dem Rock, dem Kragen. Da kann man Ärmel für ein Kleid mit dem Rock eines anderem tragen und erweckt so den Eindruck, eine völlig neue Robe zu besitzen, etwas, was wir früher oft taten, weil wir sparen mussten, und jetzt, weil auf diese Weise ein Kleid ganz in Schwarz zusammenkam, ohne ein neues in Auftrag geben zu müssen.
    »Ich bin sicher, dass die Botschafter mein Trauerkleid in ihren Briefen nach Hause als den Gipfel der Heuchelei bezeichnen«, sagte Elizabeth zu mir, als ich ihr einen Teller mit frischem Brot brachte. Sie hat immer schon sehr schlechte Eßgewohnheiten gehabt – kaum etwas zu Mittag und zu Abend, wenn jeder vernünftige Mensch seine Mahlzeiten hat, aber dafür dazwischen ungesunde Kleinigkeiten –, doch früher konnte ich sie wenigstens noch zwingen, etwas zu essen. Das ist jetzt unmöglich. Aber sie hatte am Tag vorher so gut wie nichts angerührt, und damit musste jetzt Schluss sein. »Und wer kann es ihnen verdenken: Ich werde Trauer um eine Frau zur Schau tragen, die ich zu Lebzeiten nicht um mich haben wollte.«
    Sie hatte gerade Gespräche mit dem französischen, dem spanischen und dem schwedischen Botschafter hinter sich, und ich wusste, dass der Kronrat als Nächstes an der Reihe war. Das bedeutete, dass sie sich bereits auf die nächste Begegnung konzentrierte und abgelenkt genug sein würde, um zu essen, was vor ihr stand, statt wie ein Maulesel zu protestieren. Nach mehr als zwanzig gemeinsamen Jahren weiß man, wie man jemanden nehmen muss.
    »Esst«, sagte ich also, und stellte den Teller mit dem Brot vor sie.
    Elizabeth lehnte sich zurück und schaute zu mir hoch.
    »Hat mein Vater je Trauer getragen?«, fragte sie. »Ich erinnere mich nicht mehr.«
    »Esst«, sagte ich wieder. Sie griff tatsächlich nach dem Brot und brach sich ein kleines Stück ab.
    »Ich glaube, ich habe sie nur auf Robins Hochzeit gesehen«, sagte sie. »Nur dieses eine Mal. Ich weiß noch, dass ich dachte, dass sie genau wie die anderen Mädchen aussah, in die Robin verliebt gewesen war, bis hin zu my lady Suffolk, als wir zwölf waren und er meine Hilfe bei dummen Gedichten für sie wollte. Blonde Haare, volle Lippen, volle Brüste und den Kopf immer leicht geneigt, als ob Meister Holbein gerade dabei sei, ihr Porträt zu zeichnen.«
    Ich schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Auf die Toten ist man nicht eifersüchtig.«
    »Oh, da wäre ich mir nicht sicher«, sagte sie düster. »Aber ich bin jetzt nicht auf sie eifersüchtig. Damals war ich es auch nicht, ganz gleich, was du denkst. Weißt du, wann ich zum ersten Mal wirklich und glühend auf sie eifersüchtig war? Im Tower.«
    Ich schaute mich um; die nächste Hofdame, die vielleicht noch in Hörweite stand, war Mall Sidney, die von allen den besten Grund hatte, nichts weiterzugeben, was sie in diesem Zusammenhang hörte. Auch bei unseren Streitereien über die Gästeliste zu ihrem Geburtstag war

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