Im Schatten der Königin: Roman
anderes, und im Übrigen hat mein Vater mich schon als Äbtissin gesehen, bis ihm die Nonnen in dem Kloster, in dem er mich erziehen ließ, sagen mussten, dass ich hinter ihrem Rücken die Schriften von Luther und Calvin las.«
Sie ließ meine Hände nicht los, und ich gab nach.
»Es war gut, so lange über mein Schicksal selbst entscheiden zu können«, gestand ich ein. »Aber Mr.Ashley war ein freundlicher Mann, und ihn zu heiraten hat bedeutet, dass ich nach dem Tod meines Vaters nicht als arme Verwandte auf meinen Bruder angewiesen war.«
»Nach meines Vaters Tod hatte ich auf einmal sehr viele Väter, die mir sagten, was ich zu tun hatte und was nicht. Zu viele«, sagte sie, immer noch auf Flämisch. »Angefangen mit dem gesamten Kronrat. Aber ich brauche keinen Vater. Ich brauche keinen Ehemann, um mich zu versorgen. Ich brauche kein Kloster.«
»Aber vielleicht doch einen Mann an Eurer Seite.«
»In unserer Welt gibt es nur eine Weise, in der ein Mann und eine Frau zusammenleben können, Kat: als Eheleute. Aber jede Ehefrau muss ihrem Mann untertan sein, jede, ganz gleich, wie hoch sie geboren ist. Er kann sie betrügen, er kann sie fortschicken, er kann sie schlagen, er kann sie im Kindbett sterben lassen, und wenn er erst einmal der König im Land ist, dann kann er sie sogar hinrichten lassen, und niemand nennt es Mord. Aber nicht mit mir! Jetzt bin ich Königin, und ich werde nie einem Mann diese Macht über mich geben. Keinem. Es wird an diesem Hof niemals einen Herrn geben, Kat, und nur eine Herrin. Aber ich brauche Zeit, und sie dürfen es erst verstehen, wenn es kein Zurück mehr gibt, vor allem der Kronrat.«
Mall Sidney schaute so entschlossen nicht in unsere Richtung, dass ich mich fragte, ob sie wohl doch ein wenig Flämisch verstand, aber ich schob den Gedanken energisch beiseite.
»Heißt das«, fragte ich stattdessen so behutsam wie möglich, »Ihr wollt ihn fortschicken, selbst wenn das Gericht ihn freispricht?«
Wenn das so war, dann brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu machen. Oh, es würde immer noch eine ganze Weile geklatscht werden, aber mit der Zeit würden sich die Leute dem nächsten Skandal zuwenden, und ob Robin Dudley nun seine Gattin auf dem Gewissen hatte oder nicht, er würde mein Mädchen nicht mehr durch sein Gockelverhalten gefährden. Meinen eigenen Sünden musste auch keine weitere hinzugefügt werden, und schon gar nicht eine Todsünde wie Mord. Welche Rolle Cecil auch immer in der ganzen Angelegenheit spielte, er war nicht der Mann, um noch Feindschaft gegen jemanden zu hegen, dessen Einfluss er nicht mehr zu fürchten brauchte.
»Nein«, sagte sie, und meine jähe Hoffnung fiel in sich zusammen, »nein. Wenn die Geschworenen ihn für nicht schuldig befinden, dann werde ich etwas versuchen, was noch nicht da gewesen ist. Wenn er weiß, dass ich ihn nicht heiraten werde, und dennoch bereit ist, mir das zu sein, was er jetzt ist, dann weiß ich, dass ich nicht nur auf seine Freundschaft vertrauen kann, sondern auch auf seine Liebe. Dann werde auch ich ihn nie gehen lassen.«
Was sie sagte, ergab nur einen verworrenen Sinn für mich, und was ich davon verstand, verstörte mich zutiefst.
»Kein Mann wird so leben wollen!«, protestierte ich. »Als Untertan der Frau, die er liebt, völlig von ihren Entscheidungen abhängig, ohne jede Autorität über sie. Es ist wider alles, was …«
»Es ist die Art, in der jede Ehefrau auf dem ganzen Erdenrund lebt«, sagte sie kühl, ließ mich los und drehte mir den Rücken zu, während sie einen der Briefe aufnahm, die sie gelesen hatte, als ich ihr das Brot brachte. Das stimmte zwar, doch es machte den Gedanken, einen Mann wie eine Frau leben zu lassen, nicht weniger unnatürlich. Im Übrigen gab es etwas, was sie nicht angesprochen hatte. Jeder Mann auf dieser Welt wollte nicht nur den Gehorsam seiner Ehefrau, er wollte auch seine ehelichen Rechte. Eine Ehe, ohne fleischlich miteinander zu verkehren, war nicht nur eine Sünde; bei einer gesunden jungen Frau, wie Elizabeth es war, bedeutete es auch mit größter Gewissheit eine Schwangerschaft. Freilich, ein König konnte uneheliche Kinder in die Welt setzen und sie nach Belieben anerkennen oder nicht, so wie es ihr Vater getan hatte, und für ihren Unterhalt bezahlen. Für eine Königin war das undenkbar. Sie würde in Schimpf und Schande vom Thron gejagt werden. Das wusste mein Mädchen. Ganz gleich, was für Unmöglichkeiten sie sich in den Kopf gesetzt hatte, das musste
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