Im Schatten der Königin: Roman
gewesen, derzeit durch nichts mehr erschüttert zu werden, aber die tiefe Überzeugung in seinen Worten ließ mich nun doch vergessen, den Mund zu schließen.
»Sir Henry«, sagte ich, um Fassung ringend, »seid Ihr allen Ernstes überzeugt, dass Euer Schwager seine Gemahlin umgebracht hat?«
»Nun komm du mir nicht auch noch so«, schnaubte Henry Sidney ungehalten. »Hör zu, Blount, Mall ist seine Schwester, da will sie natürlich gewisse Dinge nicht wahrhaben. Aber du und ich, wir sind Männer von Welt und nicht erst gestern geboren. Überdies muss ich gar nichts vermuten, wenn es sogar schon der spanische Botschafter von allen Dächern pfeifen lässt.«
Die morgendlichen Austern hätten mir nicht schwerer im Magen liegen können. Genau wie meine Base Jane und ich war Henry Sidney seinerzeit zu den Spaniern gegangen, um Begnadigungen zu erreichen und so wenigstens einen Teil seiner Güter wiederzubekommen. Um seinen guten Willen zu beweisen, hatte er sogar seinen neugeborenen Sohn nach dem spanischen Prinzgemahl Philipp genannt. Und genau wie ich hatte er deswegen immer noch ein paar Bekannte unter der spanischen Delegation.
»Wie bitte?«, fragte ich wenig einfallsreich, denn das Entsetzen saß mir zu tief in den Gliedern. Natürlich war zu erwarten gewesen, dass alle Ausländer bei Hofe genauso tratschen würden wie jeder Engländer, aber so, wie Henry Sidney das eben formuliert hatte, handelte es sich hier um etwas mehr als bloße Mutmaßungen.
»Bischof de Quadra hat seinem Stab gegenüber so etwas durchblicken lassen«, sagte Henry ungeduldig. »Etwas darüber, dass ein der Königin nahestehender Mann ihn darüber informiert hätte, dass Amy nicht mehr lange leben würde, und zwar noch bevor die Nachricht von ihrem Tod Windsor erreichte, nicht hinterher. Ganz ehrlich, Blount, ich hätte Robin weder für so rücksichtslos noch für so dumm gehalten, damit auch noch zu prahlen! Will er diesmal alle Mitglieder seiner Familie in den Tower bringen?«
Um ein Haar wäre mir entfahren, auch ich hätte Sir Henry nicht für so dumm gehalten, davon auszugehen, dass Robin den spanischen Botschafter seelenruhig über Mordpläne informierte, aber das wäre Zeitverschwendung gewesen. Also ließ ich ihn einfach stehen und machte mich umgehend auf die Suche nach Diego, mit dem ich in der Vergangenheit ein paar Humpen gehoben hatte und der gelegentlich für de Quadra als Schreiber tätig war. Er hatte mir seinerzeit den Groll darüber, Engländer für Spanier als Kanonenfutter ins Feld ziehen zu lassen, nicht übelgenommen, und ich verdachte es ihm nicht, dass er hin und wieder versuchte, mich über die Absichten der Dudleys auszuhorchen. Für einen Spanier und Papstknecht gab er keinen schlechten Kerl ab. Außerdem hatte er eine Schwäche für die heißen Pasteten, mit denen sich manch einer bei Hofe schnell den Magen füllte, wenn er den ganzen Tag auf seinen Patron oder gar auf die Königin selbst wartete und nicht die Zeit oder Gelegenheit für eine ordentliche Mahlzeit hatte. Solche Pasteten verkauften die Küchenjungen gegen ein Entgelt, etwas, durch das die Köche ihren Lohn aufbesserten und über das der königliche Haushalt hinwegsah. Durch Befragen der Küchenjungen dauerte es denn auch nicht lange, bis ich Diego, ihren besten Patron, aufgespürt hatte.
»Tomàs!« Er zog mich am Ärmel in die nächste einigermaßen abgelegene Ecke. »Wenn Ihr hier seid, heißt das, Euer Herr ist auch wieder zurück? Ich dachte, er dürfe sich bei Hofe derzeit nicht blicken lassen. Oh, sagt nichts, also wird es demnächst wirklich so kommen, nicht wahr? König Robert? Und dann, nehmt es mir nicht übel, der Tower, und nicht nur für ihn …« Er schüttelte den Kopf. »Das kann nicht gutgehen. Eure Königin wird als Elizabeth zu Bett gehen und abgesetzt als einfache Madam Dudley wieder aufwachen. Sie hätte unseren Herrscher heiraten sollen. Schließlich hat er gleich nach dem Tod ihrer Schwester um sie angehalten. Das wäre die einzige Möglichkeit für sie gewesen, um sich in diesem Land an der Macht zu halten.« Er spuckte aus. »Nun werdet Ihr alle Untertanen der Schottenkönigin werden und durch sie auch der Franzosen. Ein Jammer.«
»My lord Dudley ist nicht hier«, sagte ich, als er mir endlich Gelegenheit gab, ihm ins Wort zu fallen. Die Leute vom Kontinent waren meiner Erfahrung nach entschieden zu redselig, vor allem die Franzosen und Spanier, und selbst wenn sie sich in einer fremden Sprache übten, schienen sie
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