Im Schatten der Königin: Roman
Elizabeth eifersüchtig gewesen, doch daran erinnerte ich sie jetzt nicht. Wenn sie endlich bereit war, über ihre Gefühle zu sprechen, dann musste ich es auf ruhige Weise angehen lassen. Also fragte ich mit gesenkter Stimme: »Warum?«
»Wir waren zur gleichen Zeit dort«, entgegnete sie leise und drehte ihr Brotstück zwischen den Fingern. »Robin und ich. Siebzig Fuß zwischen dem Beauchamp-Tower, wo die Dudleys gefangen waren, und dem Bell-Tower, wo meine Zelle lag. Ich dachte mir damals, wenn ich hier sterbe, was war mein Leben dann? Ich verlasse die Welt nicht besser, als ich sie betreten habe, und bin nicht Fisch und nicht Fleisch, gerade so viel Prinzessin, um den Kopf zu verlieren, aber nicht genug, um zu rechtfertigen, warum ich auf dieser Welt war. Der Schließer ließ sich manchmal bestechen, um anderen Gefangenen Botschaften zu bringen, wenn es harmlose waren, weißt du es noch? Robin und ich schickten uns ständig welche. Es stand nichts Wichtiges darin, nichts, was uns noch mehr in Gefahr gebracht hätte, wenn man sie abfing, aber sie gaben mir Hoffnung. Und damals dachte ich, seine Gemahlin, die ich bei seiner Hochzeit so alltäglich gefunden hatte, dieses Mädchen weiß vielleicht nicht, warum die Erde rund ist oder wie man eine Rede auf Latein hält, und sie hat kein königliches Blut in sich, aber wenn sie morgen stirbt, dann hat sie doch vorher ein Leben gehabt. Sie hat geliebt, und sie ist geliebt worden. Da beneidete ich sie und war eifersüchtig.«
Ich hätte sagen können, dass ich und viele Angehörige ihres Haushalts sie liebten und dass es auch wenigstens zwei ihrer Stiefmütter getan hatten, aber ich wusste, dass sie eine andere Art von Liebe meinte, und sie wusste, dass ich es wusste.
»Nun, das war nicht sehr christlich von Euch«, sagte ich, »aber geschehen ist geschehen. Könnt Ihr denn jetzt aufrichtig sagen, dass Ihr sie ins Leben zurückwünscht?«
Mein Mädchen warf das Stückchen Brot achtlos auf den Teller zurück. »Ja, aber nicht aus christlichen Gründen«, sagte sie mit einer Grimasse. »Noch nicht einmal, weil sie mir leidtut, und nur in zweiter Linie, weil ihr Tod einen Sturm ausgelöst hat. Ich glaube nicht, dass du wissen möchtest, warum ich sie wirklich ins Leben zurückwünsche, Kat.«
Damit brauchte sie mir nicht zu kommen. »Wenn Ihr es mir nicht erzählen wolltet, Madam, hättet Ihr erst gar nicht damit angefangen«, sagte ich trocken. »Ihr wollt nur, dass ich frage und damit verantwortlich bin für das, was Ihr mir sagt. Ich bin aber nur dafür verantwortlich, dass ihr etwas esst.«
Elizabeth nahm das Stück Brot wieder auf und warf es nach mir, wohlweislich über meine Schulter hinweg. Anders als der alte König, ihr Vater, hat mein Mädchen früh gelernt, ihre Temperamentsausbrüche so zu inszenieren, dass nichts dabei zu Schaden kam, vor allem kein Kleiderstoff. Der König war nicht immer bereit gewesen, Geld zur Verfügung zu stellen, nachdem er sie einmal für unehelich erklärt hatte, ganz gleich, wie rasch sie wuchs, und in dem Jahr, als ihr Bruder geboren wurde, ließ ich sie deswegen absichtlich zu kleine Kleider tragen, bis sie lernte, dass es für gute Sachen nicht zwangsläufig sofort Ersatz gab. Und wenn sie einen Teller auf den Boden warf, dann durfte sie eben nur noch aus Holzbechern essen. Das hatte gewirkt und hält in manchen Dingen bis heute an.
»Solange Amy Dudley am Leben war«, sagte sie, immer noch leise, und jetzt in der flämischen Sprache, die ich sie gelehrt hatte, so, wie sie mir meine Mutter beibrachte, »so lange musste ich Robin nicht erklären, warum ich ihn nicht heiraten will, und konnte doch darauf bauen, dass er bei mir bleibt.«
Ich dachte daran, was sie zu mir über die Notwendigkeit gesagt hatte, sich den Frieden unseres Landes mit dem restlichen Europa durch das Ausspielen von Bewerbern gegeneinander zu erhandeln, aber ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass es ihr diesmal nicht darum ging. Sie schob den Teller mit dem restlichen Brot zur Seite, stand auf und ergriff meine beiden Handgelenke, so dass meine Finger eine Schale bildeten. Ihre Hände waren sehr warm, obwohl sie nichts im Magen hatte. Das fehlt gerade noch, dachte ich, dass sie jetzt krank wird! Vielleicht war es aber auch kein Fieber, das in ihren Augen brannte, sondern tiefste Überzeugung.
»Du hast so lange gewartet, um zu heiraten, Kat. Warum?«
»Ich war niemandes Erbin und habe kein königliches Blut«, sagte ich abwehrend, »das war etwas
Weitere Kostenlose Bücher