Im Schatten der Königin: Roman
Frühling wurde Sommer, der Sommer Herbst, der Herbst Winter, ein neuer Frühling kehrte ein, und noch immer hatte die Königin keinem Freier ihr Wort gegeben.
Die Klatschgeschichten über sie und Robin wurden immer hässlicher. Inzwischen behauptete man schon, dass die Königin Robin heimlich einen Bastard geboren hätte. Wie sie, die stolz auf ihre schmale Taille war und ständig unter aller Augen, eine Schwangerschaft hätte verheimlichen sollen, das erklärten die Lästermäuler natürlich nicht. Selbst Margery, die sonst die Vernunft in Person ist, bestürmte mich bei einem Besuch in Worcestershire, ihr zu verraten, ob nicht doch etwas an dem Gerede wäre. »Nicht an dem über ein Kind«, setzte sie hinzu. »Wie töricht das ist, weiß ich selbst. Aber kann es nicht sein, dass dein Vetter Robin tatsächlich eines Tages den Thron besteigen wird? Denk dir nur, Tom, dann wären wir verwandt mit dem nächsten König von England!«
Ich dachte daran. Aber nicht gerne.
Das wird mir niemand glauben, aber die Aussicht war einfach zu viel des Guten für mein Gemüt. Die Dudleys wieder als einflussreiche Partei bei Hofe, das war alles, was ich mir erträumt hatte. In die königliche Familie einzuheiraten hatte Robins Bruder Guildford den Kopf gekostet. Wenn ich an die Bewerber um die Hand der Königin dachte, dann auch daran, dass sie zwischenzeitlich eines einte, sosehr sie sich auch voneinander unterschieden: Sie alle hassten Robin. Die Vorstellung, ausgerechnet ein Dudley, Sohn des hingerichteten John, Enkel des hingerichteten Edmund, könne König von England werden, erschien ihnen noch übler als die von einem Ausländer, einem zweiten Philipp als neuem Herrscher. Deswegen begannen einige von ihnen, hinter verschlossenen Türen über Alternativen zu diskutieren.
Ihre Majestät war das letzte überlebende Kind König Henrys, doch das hieß nicht, dass es keine weiteren möglichen Thronanwärter gab, angefangen bei den Enkeln seiner jüngeren Schwester, den beiden überlebenden Schwestern Grey, bis hin zur Enkelin seiner älteren Schwester, Mary Stuart, der katholischen Königin von Schottland und gleichzeitig auch Königin von Frankreich. Um ganz ehrlich zu sein, ich hatte Alpträume, dass wir alle wieder im Tower landeten, während sich die mächtigen Lords hinter die nächste Erbin in der Thronfolge stellten.
Nun hätte ich Margery natürlich enttäuschen und ihr sagen können, dass sich Amy Dudley bester Gesundheit erfreute, auch wenn man sie nun schon ein Jahr lang zur Kranken erklärt hatte. Dass Robin bei allem Ehrgeiz nicht auf den Thron zielte. Aber so einfach lagen die Dinge leider nicht.
So einfach lagen die Dinge nie.
Und dann kam er, jener 9. September im Jahre 1560.
»Meine Gemahlin ist tot«, sagte Robin Dudley, und es lag Ungläubigkeit in seiner Stimme, als habe nicht ganz England, ganz Europa seit mehr als einem Jahr prophezeit, dass sie sterben würde. Und ich? Ich dachte nicht sofort: Der Herr möge ihrer Seele gnädig sein! Oder: Die arme Amy! Mein erster Gedanke war noch nicht einmal die Frage, die ich sehr bald ein- und ausatmen sollte wie die Luft zum Atmen: die Frage nach der Natur von Amy Robsarts Tod. Nein, ich dachte: Warum jetzt? Warum ausgerechnet jetzt?
Das werde ich mir nie vergeben.
Ehe mir Robin von Amys Tod erzählte, hatte ich vorgehabt, mit ihm etwas zu besprechen, mit dem ich wochenlang gerungen hatte. Mein Vater war im vergangenen Jahr hochbetagt gestorben, und niemand war da, um das Land zu verwalten. Dann gab es noch den Parlamentssitz, in den mich die Einwohner von Kidderminster gerade erst gewählt hatten, auch wenn das Parlament selten zusammentrat. Gleichzeitig wurde mir die Arbeit als Robins rechte Hand allmählich zu viel, oder besser gesagt, sie nahm mehr und mehr Züge an, die mir nicht gefielen.
Der letzte Anstoß, dieses Gespräch mit Robin zu suchen, war der Geburtstag der Königin, den sie vor zwei Tagen gefeiert hatte. In den Wochen vorher hatte ich erlebt, wie diverse Höflinge alles, aber auch alles taten, um auf die Einladungsliste zu kommen. Dazu gehörte, mir ihre Dienstmägde zu schicken, um Geld und sich selbst anzubieten, damit ich bei Robin ein gutes Wort für sie einlegte. Da standen mir also eingeschüchterte junge Dinger gegenüber, die noch nicht einmal wie eine Hure bezahlt wurden für ihre Liebesdienste, denen einfach befohlen worden war, für einen Fremden die Beine zu spreizen, nur, damit ihr nobler Herr oder ihre edle Dame später
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