Im Schatten der Königin: Roman
wirst vorher dort sein. Ich brauche die Wahrheit. Du musst, hörst du, du musst herausfinden, was dort wirklich geschehen ist, und …« Er sprach immer schneller und schneller, doch dann unterbrach er sich und ergriff meine Hand; seine eigene war kalt. »Die Wahrheit, Vetter. Ohne Ansehen der Person, ganz gleich, was du entdeckst. Ich muss es wissen.«
Erst da dachte ich an Amy, an die schöne junge Braut, auf deren Hochzeit ich getanzt hatte, und daran, wie ich sie zum letzten Mal sah. Auch andere Bilder stiegen in mir auf, und ich unterdrückte sie mit aller Gewalt. Es gab Erinnerungen an Amy, die ich nie hätte haben dürfen.
»Mein Beileid, my lord«, sagte ich, um von diesen Erinnerungen wegzukommen, und ich glaube, Robin verstand den Tadel in meiner Stimme sehr wohl: Er hatte kein Wort der Trauer von sich gegeben. Er ließ meine Hand los, und trat zurück.
»Wenn ich selbst nach Cumnor gehe«, sagte er, »wird es heißen, ich wolle mit eigener Hand Beweise beiseiteschaffen.«
Da hatte Robin nicht unrecht, doch wir wussten beide, dass auch ich als sein Mann dem gleichen Verdacht ausgesetzt sein würde.
»Ich verstehe«, sagte ich. »Ihr müsst bleiben, um die Königin von Eurer Unschuld zu überzeugen, und dafür sorgen, dass nicht Eure Feinde in Eurer Abwesenheit ihr Ohr erlangen.«
Robin hatte einmal zu seiner Gemahlin, die nun tot war, gesagt, dass Elizabeth einen Freund nicht im Stich ließ. Doch damals war sie eine Prinzessin gewesen, nicht die Königin. Ich musste an Robins Großvater Edmund denken, den erfolgreichsten Steuereintreiber aller Zeiten, der seinem König ein Leben lang treu gedient hatte. Und doch hatte König Henry ihn bei seinem eigenen Thronantritt hinrichten lassen, nur um beim Volk beliebt zu werden. Hatte Henry nicht nur den Thron, sondern auch die pragmatische Skrupellosigkeit an seine Tochter, unsere jetzige Königin, vererbt?
Andererseits: Elizabeth war, Krone hin, Krone her, eine Frau. Frauen ließen sich von ihren Gefühlen leiten, nicht von ihrem Verstand, das wusste jeder. Aber sollte mich dieser Gedanke nun beruhigen – oder noch nervöser werden lassen? Einer in Liebe entbrannten Frau war alles zuzutrauen; hatte nicht Mary alles für den Spanier Philipp geopfert? Ich dachte daran, wie wir im Schlamm von St. Quintin gekämpft hatten, nicht, weil es England nutzte, sondern nur, weil Spanien mit Frankreich im Krieg lag. Ich dachte daran, wie Mary – die unter der protestantischen Herrschaft ihres Bruders Edward so offen für das Recht darauf gesprochen hatte, in religiösen Dingen seinem Gewissen folgen zu dürfen, dass es ihr im ganzen Land Bewunderung eintrug –, kaum dass sie selbst an der Macht war, im ganzen Land Scheiterhaufen für Ketzer entzündete, um ihrem geliebten Spanier zu beweisen, dass sie aus England wieder ein rein katholisches Land machen konnte. Ja, eine Frau, die ihrem Herzen folgte – und die Macht hatte, zu töten, was ihr dabei in den Weg kam –, die war das Gefährlichste, was man sich vorstellen konnte.
Mit einem Mal kam mir ein anderer Gedanke. Robin war nicht der Einzige, dem man seit über einem Jahr nachsagte, auf den Tod seiner Gemahlin zu warten. Was, wenn die Königin nicht mehr hatte warten wollen? Ohne Ansehen der Person, hatte Robin gesagt, doch er konnte unmöglich wollen, dass ich Beweise gegen die Königin fand. Oder benötigte er genau dies, um etwas in der Hand zu haben, was sicherstellte, dass die Dudleys nie wieder fallen würden, wenn die Liebe einmal erkaltete? Das wäre Verrat, und ein sicherer Weg, um seinem Vater und Großvater auf das Schafott zu folgen. Und auch für mich liefe es gewiss auf ein Todesurteil hinaus. Ganz gleich, wie die Königin in Bezug auf Robin Dudley fühlte: Sollte ich herausfinden, dass sie sich wirklich so weit vergessen hatte, Amys Tod zu befehlen, dann würde sie bestimmt nicht zögern, auch Thomas Blount aus Worcestershire aus dem Weg räumen zu lassen.
»Jeder im Land wird mich Mörder nennen, bis ich das Gegenteil beweisen kann«, sagte Robin offen. Erst dann schien er mein Schweigen zu bemerken. »Vetter, ich weiß, was du denkst.«
Das bezweifelte ich.
»Wenn es deine Margery getroffen hätte, dann würdest du nun um sie weinen und mit Recht erwarten, dass ich dich tröste. Ich dagegen stehe tränenlos vor dir, und mein erster Gedanke gilt mir selbst. Du denkst, dass Amy Besseres verdient hat, und das ist wahr.« Er zögerte einen Moment, bevor er fortfuhr. »Wahr ist auch, dass
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