Im Schatten der Königin: Roman
behauptete.
»Wie hast du herausgefunden, dass sie lesen kann?«, fragte ich schließlich.
»Wenn man ein Pamphlet aus London mit Klatsch über den Hof herumliegen lässt«, entgegnete er, »dann liegt es nahe, dass die Person, die es mit sich nimmt, lesen kann.«
»Und du hattest ganz zufällig ein Pamphlet aus London dabei?«
»Master Blount«, sagte Frobisher würdevoll, »ich bin in meinem Gewerbe so gut gerüstet wie nur irgendein Handwerker in seinem. Ich habe immer mehrere Pamphlete bei mir. Wenn man die Leute unterhält und Teufel und Engel spielt, dann ist es gut, wenn dabei etwas gesagt wird, über das sich die Menschen gerade unterhalten. Wen kümmert es, wenn ein Teufel über irgendwelche gottverfluchten Lords während der Rosenkriege herzieht? Aber wenn er davon spricht, die Damen und Herren zu holen, die jetzt gerade bei jedermann verhasst sind, dann gibt es immer Applaus!«
»Hmmm … Pirto ist also auf deine kleine List hereingefallen«, brummte ich. »Aber wieso hat sie dir dann sofort eine Lügengeschichte über angebliche Briefe erzählt?«
»Nun«, entgegnete Frobisher, »als ich sie das Pamphlet in ihrem Ärmel verschwinden lassen sah, kam mir in den Sinn, dass sie dort noch andere Papiere verborgen haben konnte, und ich machte ihr ein wenig den Hof, um das zu überprüfen. Alles im Dienst Eurer Sache, Master Blount.«
Ich war wider Willen beeindruckt. In seinem Alter hatte ich wesentlich länger gebraucht, um ein Mädchen zu bewegen, mir solche … Überprüfungsmöglichkeiten zu gestatten. »Und dabei fandest du …«, hakte ich nach.
»Gar nichts.« Frobisher seufzte. »Stattdessen schlug Pirto mir meine Hände weg und sagte, ich solle Master Blount ausrichten, die Zeilen, die my lady an ihn gerichtet habe, seien sicher aufgehoben, und vielleicht wolle sie doch nicht Zofe bei einer von Lord Roberts Schwestern werden, sondern ein neues Leben mit einer schönen Mitgift und einem braven Mann beginnen.« Er hielt einen Moment inne, dann fuhr er fort: »Doch von Euch dürfte sie eine solche Mitgift nicht erhalten, nicht wahr? Da my lady nicht die Angewohnheit hatte, Euch zu schreiben.«
»So ist es«, sagte ich steinern. Was konnte Amy mir geschrieben haben? Und wieso war dieser Brief nicht abgeschickt worden? Vielleicht war er das Letzte, das sie geschrieben hatte. Ein Hilferuf – oder eine Beschuldigung?
Vielleicht gab es auch keinen Brief. Alles war möglich.
Ich dachte an Amy und ihren einsamen Tod, von dem ich immer noch nicht wusste, ob er ihr Werk gewesen war oder das anderer Menschen. Ich dachte an mich selbst und an das, was geschehen würde, wenn Pirto einen an mich gerichteten Brief den Geschworenen übergab. Und ich wünschte, ich wäre ein besserer Mensch, in dem nicht der zweite Gedanke immer stärker werden würde.
Wenn ich der Bürgermeister von Abingdon wäre, der den Vorsitz bei der Untersuchung führte, und mir würde ein Brief zugespielt, aus dem hervorging, dass ein Mann unlautere Beziehungen zu der jüngst unter merkwürdigen Umständen verstorbenen Gemahlin seines Patrons unterhalten hatte, dann wäre dieser Mann für mich ohne Zweifel einer der Hauptverdächtigen. Mehr noch: Robert Dudley zu verdächtigen mochte zwar noch näher liegen, war aber heikel, solange man nicht wusste, ob die Königin ihn fallenlassen oder als mächtigen Mann bei Hofe halten würde. Die Königin selbst zu beschuldigen, das hatte unter vergangenen Monarchen Hände und Zungen, wenn nicht das Leben gekostet und war etwas, was mehr Tollkühnheit verlangte, als die meisten Amtsträger sie besaßen. Davon, dass Sir William Cecil ein Verdächtiger sein konnte, wusste in Abingdon niemand, und ich war mir selbst alles andere als sicher, weil nur sein Verhalten am gestrigen Abend in Kew, der Abstecher seines Schreibers nach Oxford und das Wort eines lügnerischen Spaniers dafür sprachen. Und schließlich: Wenn Amy Hand an sich selbst gelegt hatte, dann würde das ihre Familie nicht hören wollen, das hatte John Appleyard lautstark klargemacht.
Aber einen Tom Blount des Mordes zu beschuldigen, das war etwas ganz anderes. Zumal dieser Tom Blount offenbar etwas zu verbergen hatte. Tom Blount war ein Vertrauter, der Lady Dudley gebeten haben konnte, das gesamte Gesinde fortzuschicken, und auch jemand, der in der Lage war, sich für einen Tag vom Hof zu entfernen, ohne dass es jedermann sofort auffiel. Tom Blount war zwar nicht ohne Macht und Einfluss, aber beides hing ausschließlich von
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