Im Schatten der Königin: Roman
Aufmerksamkeit zuteil. Das bedeutete auch, dass ich von nun an auf der Hut sein musste. »Was führt Euch heute zu mir, Mrs.Ashley?«
»Ich habe Euch so lange nicht mehr gesehen«, sagte ich freundlich und unterdrückte den Wunsch, sie nach den Büchern zu fragen, die sie mir damals geliehen hatte – war dies ein Zeichen ihrer Großzügigkeit gewesen, oder hatte sie eine Hausdurchsuchung bei sich befürchtet? Aber ich wollte etwas von ihr, und deswegen durfte ich sie nicht verärgern. Ich sah zu der Amme mit dem kranken Jungen hinüber und sagte mit weicher Stimme: »Und ich dachte mir, eine Plauderei würde uns beide ablenken.«
»Wovon müsst Ihr denn abgelenkt …« Mildred zog die Augenbrauen zusammen. »Ah, ja, natürlich. Nun, ich bin sicher, Ihr verzeiht mir meine Offenheit, aber das Getöse jetzt hat sich die Königin selbst zuzuschreiben. Man ermutigt einen verheirateten Mann nicht, wie sie es getan hat, und schon gar nicht einen von den Dudleys. Ihre verstorbene Schwester hat uns alle zurück nach Rom zerren wollen, und dafür brennt sie natürlich in der Hölle, aber Mary hat nie Anlass zu irgendeinem Klatsch gegeben, solange sie eine Prinzessin war. Und als sie auf den Thron kam, da hat sie sofort geheiratet. Das sollte Eure Herrin auch tun. Es ist unnatürlich für eine Frau, nicht zu heiraten. Sie könnte jetzt schon verheiratet sein, und dann wäre auch das arme junge Ding in Oxfordshire noch am Leben, denn jemanden wie Robin Dudley würde ein König gewiss nicht um seine Frau herumscharwenzeln lassen.«
Ihre Offenheit mochte als Zeichen von Vertrautheit verstanden werden, schließlich hatte ich lange unter ihrem Dach gelebt. Es konnte aber auch etwas ganz anderes sein, und ich würde auf diesen so unverblümten Angriff auf mein Mädchen mit der Waffe reagieren, die mir im Umgang mit Mildred die beste zu sein schien: Freundlichkeit. »Ich höre die Stimme Eures Gatten, so scheint mir«, entgegnete ich daher mit neckender Stimme.
»O nein, da irrt Ihr. William meint sogar, sie müsse noch eine Weile unverheiratet bleiben, bis England sich von all den blutigen Wirren der letzten Jahre erholt hat.« Mildred schüttelte den Kopf. »Ich bin natürlich kein Staatsmann, doch mir scheint, das Land könnte sich auch erholen, wenn uns durch eine Ehe Wohlstand aus dem Ausland zuflösse. Niemand von uns wünscht sich natürlich einen Spanier auf dem Thron, versteht sich, und auch keinen Franzosen, Gott bewahre. Aber was ist denn gegen einen Schweden einzuwenden? Das sind Protestanten. Und wenn die Königin erst ein Kind in den Armen hält und den Männern das Regieren überlässt, dann werden wir alle glücklich und zufrieden sein.« Sie nickte, um ihre Überzeugung zu bestätigen. »Ja, das werden wir!«
Ich lächelte gewinnend, um die Spitze abzumildern, die ich mir nicht verkneifen wollte. »Es überrascht mich, dies aus Eurem Munde zu hören. Ich kann mich erinnern, wie Ihr einmal das Recht von uns Frauen auf Bildung verfochten habt«, sagte ich, »als einer der Freunde Eures Gatten aus Cambridge hier zu Gast war.«
Mildred sah mich überrascht an. »Auf Bildung , das versteht sich. Aber die Macht, die sich die Königin anmaßt, ist doch etwas anderes, und Ehelosigkeit taugt wirklich nur für die Katholiken.« Sie seufzte. »Doch will ich gerne zugestehen, dass die Herren aus Cambridge sehr häufig eine herablassende Art und Weise haben, die einen aus der Haut fahren lassen kann. In den letzten Wochen beehrte uns wieder einer von der Sorte, die verblüfft tut, wenn eine Frau buchstabieren kann, und diese Haltung ist mir schon bei Williams Schreiber zuwider. Aber mein Gemahl hat nun einmal ein großes Herz für ehemalige Studienkollegen, da kann ich nichts machen.«
Das Kind fing erneut an, zu wimmern, und die Amme beeilte sich, es in Mildreds Arme zu legen. Nach einer Weile, in der ich ihr beim Abtupfen mit feuchten Tüchern und dem Auftragen von Salben half, entschuldigte ich mich und sagte, die Natur riefe. Ich wusste sehr genau, dass das Haus über zwei in Schränken eingelassene Nachttöpfe verfügte, etwas, um das ich Cecil immer beneidet hatte. Natürlich gab es dergleichen auch in königlichen Residenzen, aber auch Hunderte von Menschen, die keinen Zugang zu ihnen hatten und sich daher auf den Gängen erleichterten. Einer jener Schränke befand sich in William Cecils Bibliothek, verborgen zwischen den Büchern. Der Bibliothek, in der auch der Schreibtisch mit den Briefen und Dokumenten stand,
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