Im Schatten der Königin: Roman
daran gedacht, dass Gott Rechenschaft von Euch fordern könnte für den Tod dieser unschuldigen jungen Frau, ganz gleich, was Ihr damit erreicht habt?«
»Oh, Mistress Ashley … ich habe Amy Dudley nicht auf dem Gewissen«, entgegnete Cecil, ohne sich umzudrehen. »Ihr Tod kam mir zustatten, gewiss, und ich wusste von ihm, noch ehe er eintrat, doch die Entscheidung, die ihn zustande kommen ließ, die habe nicht ich getroffen.«
Mit diesem letzten Rätsel ließ William Cecil mich zurück.
Kapitel 17
Sonntag, 15. September 1560
E s war eine helle Septembernacht. Vor kurzem hatte die stille Nachtluft den Klang der Glocken aus Abingdon zu uns getragen, die zwölf geschlagen hatten. Der Haushalt von Cumnor war endlich zur Ruhe gekommen. Der Himmel war klar und wolkenlos wie schon lange nicht mehr, und ich hätte das Talglicht, das ich bei mir trug, gar nicht gebraucht. Ich stellte es neben mir ab und begann, zu schaufeln.
Latimer und Hughes hatten die Truhe mit Amys Leiche wie befohlen unter die Erde gebracht, nicht in den Eiskeller, was sinnvoll gewesen wäre; nein, sie hatten meinem Befehl ganz wörtlich gehorcht, wie man es mit Befehlen tat, die einem von Menschen erteilt wurden, die einem zuwider waren. Das vorläufige Grab befand sich direkt hinter der Kapelle. Ich war nicht allein; Edith Odingsells hielt Wache, um sicherzustellen, dass ich nicht gestört wurde.
Zuerst hatte ich es nicht glauben wollen, aber dann leuchtete mir Ediths Verdacht mehr und mehr ein. »Nachdem der Leichenbeschauer und die Geschworenen hier gewesen waren, wusste Pirto, dass niemand mehr die Leiche untersuchen würde«, hatte sie erklärt. »Überall sonst hätte man die Briefe finden können, im Haus, im Garten, in den Ställen und natürlich erst recht bei Pirto selbst. Sie war ständig in der Kapelle, wenn man sie suchte. Sie hatte mehr als genug Zeit dazu.«
Es ist kein richtiges Grab, sagte ich mir, und in ein paar Tagen wird man es ohnehin wieder öffnen, um Amy in ihre endgültige Ruhestätte nach Oxford zu überführen. Ich entweihe nichts. Aber das, was ich tat, lastete doch schwer auf mir wie Schuld und Buße, mit jeder Schaufel. Ich hatte alles getan, um ihr auszuweichen, der einfachen Tatsache des Todes dieser Frau, und nach Wahrheiten gesucht, die mich fort von dem Verfall eines Körpers führten, den ich noch vor ein paar Monaten in den Armen gehalten hatte. Nun würde ich ihr wenigstens noch einmal ins Gesicht schauen, ihr und der Wahrheit ihres Todes, und wenn es keine weiteren Erklärungen mehr gab, dann würde ich mich damit abfinden.
Der Sarg – nein, die Truhe lag nicht sehr tief, und natürlich war sie nicht abgeschlossen. Ich ertappte mich dabei, wie schon einige Male in den letzten Tagen in eine papistische Geste zu verfallen und mich zu bekreuzigen. Dann öffnete ich ihn.
Ihre Haare schienen gewachsen zu sein, und auch ihre Fingernägel, das war das Erste, was ich dachte; gewachsen, seit ich sie in Cumnor verlassen hatte, oder gewachsen im Tode, ich wusste es nicht. Unwillkürlich fiel mir Pirtos Anklage ein: Wenn ein Wunder geschehe und Amy von den Toten auferstünde, so würde ich doch nicht anders handeln, und einen furchtbaren Moment lang dachte ich, wir hätten sie lebendig begraben. Aber dann roch ich ihn wieder, den süßlichen Geruch des Verfalls. Ich berührte die Hände, die jemand über ihrer Brust gefaltet hatte und die nicht mehr starr waren, sondern erneut weich, wie bei allen Leichen, wenn mehr als zwei Tage vergangen sind. Zu weich.
Amys linke Hand fiel zur Seite, als ich sie berührte, und als ich sie wieder aufhob und auf ihre Brust zurücklegte, da spürte ich sie. Nicht den Stoff, nicht das gestärkte Leinen: mehrere sorgfältig gefaltete Blätter, unterhalb ihres Brustausschnittes.
»Verzeih mir«, sagte ich, und ich meinte nicht die Freiheit, die ich mir mit ihrer Leiche nahm.
Doch ich musste es wissen.
Nachdem ich die Briefe an mich genommen hatte, schloss ich die Truhe und schaufelte die Erde wieder in das Loch, in dem Amy nur kurz zur Ruhe gekommen war. Dann hob ich mein Talglicht und faltete die Briefe auseinander, einen nach dem anderen.
Manche stammten nicht von Amy; der erste, den ich erkannte, war tatsächlich einer von meiner Gattin Margery. Sie schrieb über häusliche Kleinigkeiten, nicht mehr. Zwei weitere kamen von Freunden aus Norfolk, die ich nicht kannte. Einer stammte von Robin, doch nicht aus diesem Jahr oder dem letzten; es war ein alter Brief, aus dem
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