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Im Schatten der Königin: Roman

Im Schatten der Königin: Roman

Titel: Im Schatten der Königin: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Klauen das Gesicht zerfetzte, hätte ich es mit weniger Bestürzung aufgenommen. Es gab Höflinge, die zwei Könige und eine Königin überlebt hatten und sich weniger unverfroren an Erpressung versuchten als dieses hagere Weib aus dem hintersten Oxfordshire.
    Vielleicht war Erpressung das falsche Wort; sie hatte schließlich kein Geld verlangt. Noch nicht. Aber sie hatte mir gedroht, hatte klargemacht, dass sie glaubte, mit dem, was sie wusste, Robin Dudley, Anthony Forster, mich oder uns alle in der Hand zu haben. Was gab ihr diese Selbstsicherheit? Einen Moment lang fragte ich mich, ob es irgendwelche Vereinbarungen zwischen Robin und Forster gegeben hatte, von denen ich nichts wusste. Doch nein, das war absurd. Forster hatte zwar ebenfalls für John Dudley gearbeitet, war der Familie aber nie so nahegestanden wie ich, und außerdem wäre es sinnlos für Robin gewesen, mich hierherzuschicken, wenn er mir nicht in allem vertraute. Und doch gab es etwas, was Agnes Cross wusste, und ich hatte keine Ahnung, was es sein könnte.
    Weit davon entfernt, widerlegt worden zu sein, schienen mir meine schlimmsten Befürchtungen wahrscheinlicher denn je. Ehe ich wieder mit ihr sprach, musste ich mehr von dem wissen, was in diesem Haus geschehen war.

Kapitel 5
    Dienstag, 10. September 1560
    M an sah der Küche von Cumnor an, dass keiner der Vorbesitzer bei ihrer Ausstattung gespart hatte. Es gab nicht nur einen, sondern zwei offene Feuerstellen, eine an jedem Ende des Raumes, einander genau gegenüberliegend. Bei seinem Umbau des alten Klosterhospitals musste bereits Doktor Owen für moderne Rauchfänge und Schornsteine gesorgt haben. Von den Wänden hingen Kupferpfannen, die sauber gescheuert waren, und der große Kessel, der über einer der Feuerstellen hing, machte auch den Eindruck, als sei er frei von jedem Dreck und Rost. Es roch nach Knoblauch, der ebenfalls von den Wänden hing, und geräuchertem Schinken, der in der anderen Feuerstelle verankert war. Als ich die Küche betrat, hatte ich allerdings kaum Gelegenheit, mehr wahrzunehmen, denn zwei der drei Männer, die sich in ihr befanden, waren damit beschäftigt, sich anzubrüllen, während der dritte Mann und die einzige Frau sich vergeblich in der edlen Kunst des Friedensstiftens übten.
    »… Hundsfott!«, schrie der ältere der beiden Männer. »Niemals!«
    Eigentlich hatte ich vorgehabt, mir sofort Gehör zu verschaffen, aber nun blieb ich natürlich still. Alles, was ich hörte, war »Dreckskerl«, »Hurensohn«, »Schleimscheißer«, während die Frau rief: »Fred, Hal, nein«, und der ältere Weißbart etwas davon brüllte, dass die Töpfe vier Shilling gekostet hätten. Außerdem war erkennbar, dass keiner von beiden ein unbeschriebenes Blatt bei Raufereien war.
    Als der Ältere Anstalten machte, seine Daumen in die Augen des Jüngeren zu bohren, entschied ich, dass es genug war. Allerdings würde es nicht viel bringen, in das allgemeine Gebrüll einzustimmen. Mein Blick fiel stattdessen auf die Pfannen an der Wand, ich nahm mir eine – und setzte den Älteren durch einen kleinen Schlag auf den Hinterkopf vorübergehend außer Gefecht.
    »Zunächst einmal«, sagte ich, während mich alle in der jähen Stille überrascht anstarrten, »möchte ich wissen, wer von euch Latimer ist.«
    Der jüngere Mann, dem noch nicht einmal ein Bart gesprossen war und der sich seine gerade geretteten Augen rieb, ließ die Hand sinken und schaute erst zu der Frau, dann zu mir. Doch sie war es, die sprach.
    »Ich bin Claire Latimer, und das ist mein Bruder Hal Latimer. Nichts für ungut, aber wer zum Kuckuck bist du, Gevatter, und was bringt dich zu uns? Der Herr wird so schnell niemanden mehr einstellen, nicht nach dem, was mit Harkness geschehen ist.«
    Zuerst stutzte ich ob der vertraulichen Anrede, doch dann fiel mir ein, dass ich Wams und Hemd des Wirtes trug, was offenbar dazu führte, dass ich nicht mehr sofort als Mann von Stand eingeordnet wurde. Das konnte nützlich sein. Bei Gott, an diesem Tag griff ich inzwischen nach Strohhalmen, aber manchmal entdeckt man tatsächlich ein Goldkorn in einem Misthaufen. Nicht, dass es mir je passiert ist, aber man kann nie wissen.
    »Seid ihr da sicher?«, fragte ich. »Mir hat man erzählt, dass vielleicht Stellen frei werden … nach dem letzten Sonntag.«
    Bruder und Schwester wechselten wieder Blicke.
    »Wer hat das gesagt?«, stieß Hal Latimer hervor.
    Der Mann, den ich niedergeschlagen hatte und der noch am Fußboden lag,

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