Im Schatten der Königin: Roman
mir, der König ist unser aller Herr, aber er tut unrecht daran, unsere Königin zu verstoßen für die Boleyn und ihre schwarzen Augen. Das ist nicht recht.«
»Es wird alles nach Gottes Willen geschehen, Mrs.Owen«, sagte Mrs.Odingsells. »Kommt mit mir in den Garten.«
Wie ich bald herausfand, hatte jemand die Truhen mit Amys persönlicher Habe verschlossen, ohne den Schlüssel dazulassen, und auf dem kleinen Tisch, der vor dem Fenster zum Garten stand, lagen keine Briefe, obwohl eine stumpfe Feder mit alter getrockneter Tinte bewies, dass sie welche geschrieben haben musste. Mir war immer ein Rätsel geblieben, warum Frauen bei jeder Gelegenheit schrieben oder dem nächstbesten Schreiber diktierten. Wenn ich mir Margery ansah, ging es dabei oft um für sie ungeheuer wichtige Dinge, die ich schon vergessen hatte, während ich sie noch erledigte. Mir fehlten oft Knechte im Stall, weil solche Briefe über verlorene Stricknadeln jedes Mal umgehend auf den Weg gebracht werden mussten.
Ich ertappte mich dabei, wie ich auf das Bett starrte. Halbwegs hatte ich erwartet, Amy dort aufgebahrt zu finden, aber natürlich war das nicht der Fall; Forster musste angeordnet haben, sie in die Kapelle zu bringen. Als sie das letzte Mal in diesem Bett lag, hatte sie noch gelebt, früh am Sonntag, ehe sie aufstand und allen Leuten befahl, sie alleine zu lassen.
Mir fielen nur zwei mögliche Gründe ein, die sie für diesen Befehl gehabt haben konnte, und keiner von beiden war etwas, was ich wahrhaben wollte. Ich schloss aus, dass sie tatsächlich nur hatte allein sein wollen. Manchen Menschen mochte Eigenbrötelei und Melancholie im Gemüt liegen, doch Amy war nie gerne alleine gewesen. Sie konnte lesen und schreiben, doch anders als ihr Gatte und seine Geschwister konnte sie mit Büchern nichts anfangen. Sie liebte Musik, aber sie spielte kein Instrument und genoss es nur, den Musikern zu lauschen. Sie tanzte mit Begeisterung und hatte zu Beginn ihrer Ehe, als John Dudley der mächtigste Mann im Land war und seine Familie ständig bei Hofe Feste gab, jede dieser Feiern genossen; nur Robins Schwester Mall war eine begehrtere Tanzpartnerin als sie gewesen. »Man fühlt sich wie die Königin der Herzen«, hatte Amy einmal lachend erklärt, auf der Hochzeitsfeier von Guildford und Lady Jane Grey, die den Anfang vom Ende für uns alle bedeuten sollte.
Amy liebte Gaukler und hätte jemanden wie mein neues Anhängsel Frobisher gerne für sich spielen lassen, und wenn ein Jahrmarkt stattfand, dann hätte es ihr ähnlich gesehen, Anthony Forster zu bitten, sie dorthin zu eskortieren oder die besten Gaukler in sein Haus zu holen, nicht, alle anderen dorthin zu schicken und alleine zurückzubleiben.
Nein, wenn sie plötzlich die Einsamkeit suchte, dann steckte mehr dahinter als nur eine dunkle Stimmung. Ich konnte mir vorstellen, dass ein Brief sie erreicht hatte, ein Brief, in dem sie gebeten wurde, all ihre Dienerschaft fortzuschicken. Ein Brief, in dem sich Besuch ankündigte, der vorgab, auf keinen Fall gesehen werden und Anlass zu Klatsch geben zu wollen. Ein hoher Herr bei Hofe zum Beispiel, der Amy versprach, seinen Einfluss zu nutzen, um ihren Gatten aus dem Umkreis der Königin zu entfernen und so zu ihr zurückzuführen? Oder, Gott bewahre, die Königin selbst?
Niemand, der einen königlichen Umzug mitgemacht hat, würde glauben, dass sich Ihre Majestät ohne weiteres heimlich nach Oxfordshire begeben könnte, ohne gesehen zu werden, aber Amy war nie Mitglied des Hofstaats gewesen. Im Übrigen sind Frauen von ihren Gefühlen bestimmt, nicht von ihrem Verstand. Mein Blick wanderte zu den beiden Truhen. Wenn eine von beiden einen Brief enthielt, der den Namen der Königin trug, ob gefälscht oder echt, dann wurde eine meiner schlimmsten Befürchtungen wahr, seit ich gestern von Amys Tod erfahren hatte.
Nicht die schlimmste, nein. Die andere Möglichkeit war noch schlimmer. In den Jahrzehnten meines Lebens habe ich in Latein zu den Heiligen gebetet und in gutem Englisch zu Gott dem Herrn; wie seine Lehre auszulegen sei, darüber änderte sich die allgemeine Meinung mit den Herrschern, die uns regierten. Aber in einem waren sich Römlinge wie Protestanten einig: die einzige Sünde, die nie vergeben werden kann, weil der Sünder nicht in der Lage ist, sie noch vor seinem Tod zu bereuen, ist der Selbstmord. Hand an sich selbst zu legen, verdammt einen auf ewig. Wenn Amy selbst ihrem Leben ein Ende gesetzt hatte, dann konnten sie
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