Im Schatten der Königin: Roman
war, aber ich musste bei der derzeitigen Stimmung im Haus wohl zunächst einmal davon ausgehen, immer angelogen zu werden.
»Hmmm … Und für Harkness wurde kein Ersatz eingestellt?«
»Nein, Sir. Hughes hier teilt sich die Arbeit mit den anderen«, entgegnete sie und wies auf den Mann, der mich erkannt hatte. »Er hat schon unter Dr.Owen gedient, er kennt sich aus.«
»Ich bin der Stallmeister, Sir«, bestätigte Hughes eilfertig. »Und war mir nie zu schade, für zwei mit anzupacken.«
»Das ehrt dich. Nie ein freier Tag, wie?«
Er brummte, ein Laut, der vage zustimmend klang.
»Noch nicht einmal an Feiertagen«, fügte ich, scheinbar anerkennend lächelnd, hinzu. »Dann besonders nicht, weil alle anderen auf den Beinen sind.«
»Hmmmm.« Er nickte zögernd.
»Ohne Ausnahme.«
»Mmmm.«
»Weißt du, Hughes, das wundert mich dann doch. Nachdem mir jeder hier lang und breit erzählt hat, dass my lady am Sonntag alles Gesinde zum Jahrmarkt geschickt hat. Warst du nun dabei, oder bist du hiergeblieben?«
»Wir waren auch hier, Sir«, sagte Hal Latimer. »Claire und ich.«
»Das weiß ich«, sagte ich freundlich. »Danach habe ich nicht gefragt.«
Hughes warf Claire einen Blick zu, dann zuckte er die Achseln. »Manchmal hat man schon frei. Mehr oder weniger.«
»Das heißt?«
»Ich hab im Ort ein Auge auf die Pferde und den Karren von Mrs.Odingsells halten müssen, während die anderen umherschwirrten.«
»Du scheinst ein wahres Musterbeispiel der Arbeitswilligkeit zu sein. Da wundert es mich, dass dieser – wie hieß er noch? – Harkness überhaupt erst eingestellt wurde.«
Die beiden Latimers schauten immer noch zu Boden, aber ihre Mundwinkel zuckten, als seien sie versucht, zu grinsen. Der älteste Mann im Raum, der bisher nur einmal gesprochen hatte und hauptsächlich um das Geschirr besorgt gewesen war, sagte: »Es war jedenfalls friedlicher, als Harkness noch hier war. Es gab weniger Schlägereien in meiner Küche.« Das unterstrich er mit einem grimmigen Blick.
»Apropos«, sagte ich. »Latimer, wenn Hughes sich regelmäßig für den Rest des Gesindes aufopfert, dann erscheint es mir sehr merkwürdig, dass du ihm diesen Edelmut mit Raufereien lohnst und dir dabei fast seine Daumen in die Augen bohren lässt. Oder will mir jemand erzählen, was sich hier wirklich zugetragen hat?«
Auf einmal waren sich alle einig darin, ausdruckslos dreinzuschauen und zu schweigen. Noch nicht einmal stumme Blickwechsel gab es mehr. Es war klar, dass ich sie einzeln würde befragen müssen, vielleicht sogar mit Schlägen oder Kerker drohen, um klarzumachen, dass man Lord Robert Dudleys Mann Respekt zu zollen hatte.
»Fein«, seufzte ich. »Dann macht mir etwas zu essen. Da Lady Dudley nun tot ist, wird mein Freund Anthony gewiss seinen Haushalt wieder etwas zurückstutzen können. Ich würde ihm gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen, was das betrifft, aber leider kenne ich keinen von euch und habe bisher niemanden getroffen, der seinem Herrn helfen will, das Unglück aufzuklären, so dass ich nicht sagen kann, wer auf keinen Fall seine Dienste verlassen sollte. Ein Imbiss wäre ein Anfang. Ruft mich, wenn es so weit ist; ich werde im Garten sein. Wenn einer von euch Pirto sieht, schickt sie zu mir hinaus.«
»Pirto ist in der Kapelle, Sir, wo man my lady Dudley aufgebahrt hat.« Claire sah mich forschend an. »Wollt Ihr denn nicht auch für my lady beten?«
Auf diesem Haus musste ein Fluch ruhen. Bisher hatte es jede Weibsperson, die hier lebte, fertiggebracht, mich vor meinem eigenen Gewissen zu beschämen, ganz gleich, was sie selbst auf dem Kerbholz haben mochte.
»Gewiss«, sagte ich und machte mich auf den Weg zur Kapelle, um das zu tun, dem ich die ganze Zeit ausgewichen war: die Leiche der Gemahlin meines Vetters Robin zu sehen.
Die Leiche von Amy Robsart, die ich bei ihrer Hochzeit hatte tanzen sehen.
Von Amy, die ich viele Jahre später in einem unbedachten Moment geküsst hatte.
Zehn Jahre war es her, dass ich ihren Namen zu ersten Mal hörte. »Robin hätte es besser treffen können«, sagte John Dudley in jenen Tagen, als er zum mächtigsten Mitglied des Kronrats geworden war. Wir befanden uns in Hampton Court, wo der junge König Edward Hof hielt. »Die Ländereien des alten Robsart sind nicht schlecht, aber er hätte es besser treffen können, wenn er gewartet hätte. Der Teufel soll den Jungen holen, und seine Amy direkt dazu. Nun wird es Guildford sein müssen.«
Im Nachhinein
Weitere Kostenlose Bücher