Im Schatten der Königin: Roman
persönliches Schreiben bei Amys wenigen Papieren befand: kein Brief ihres Halbbruders, keiner von ihren Schwägerinnen, keiner von Freunden, und sie hatte Freunde gehabt. Außerdem hatte Margery erst vor zwei Wochen in einem Brief erwähnt, dass sie von my lady Dudley gehört habe, und meine Gemahlin wusste, was sich ziemte. Sie würde ein solches Schreiben sofort beantwortet haben, aber hier fand sich keine Zeile von Margerys Hand. Hatte jemand alle an Amy gerichteten Briefe, in denen Persönliches zur Sprache kam, entfernt?
Die Hauptverdächtige dafür war selbstverständlich Pirto, auch wenn sie gerade darauf bedacht gewesen war, mich wissen zu lassen, sie könne nicht lesen und damit eine solche Unterscheidung gar nicht treffen. Pirto, die darum gebeten hatte, ihr eine neue Stelle bei den Dudleys zu verschaffen. Ich starrte auf den Brief, in dem von Taft und Samt die Rede war, und stellte mir vor, wie Pirto mehr tat, als nur darum zu bitten.
Doch nein. Pirto war mir immer als ein sanftmütiges, vielleicht sogar ein wenig zu sanftmütiges Mädchen erschienen. »Treu wie ein Schaf und gerade so klug«, hatte Margery ein wenig herzlos gemeint, als Amy bei uns lebte. Es wollte mir nicht in den Kopf, dass die gleiche Pirto nun wie ein Höfling Intrigen schmieden sollte. Agnes Cross mit ihrem wimpernlosen Blick oder Edith Odingsells mit ihrer offenen Abneigung mir gegenüber, aber nicht Pirto.
Diese Gedanken brachten mich nicht weiter. Also griff ich mir den nächsten herumstrolchenden Diener und befahl ihm, meine Satteltaschen aus dem Stall hierher zu bringen.
»In diesen Raum, Sir?«, stammelte er.
»Es ist das Zimmer für den Ehrengast«, sagte ich kalt. »Ich bin hier in Vertretung my lord Dudleys.«
»Aber …« Ob er nun dagegen protestieren wollte, dass ich im Gemach einer Toten nächtigte, oder ob Forster andere Anweisungen erteilt hatte, wusste ich nicht; mein Blick ließ ihn so oder so verstummen. »Sehr wohl, Sir.«
Um ganz offen zu sein, ich war sicher, dass ich in jedem anderen Raum besser schlafen würde, aber wenn sich hier noch ein Hinweis auf Amys letzte Tage befand, den jemand übersehen hatte, wollte ich ihn selbst finden, statt noch mehr Dieben die Chance dafür zu geben.
Meinen Befehlen wurde gehorcht, und Claire Latimer brachte mir bei dieser Gelegenheit auch das Essen, um das ich gebeten hatte. Ich war gerade dabei, zu entdecken, dass ich wieder Hunger hatte, und zu versuchen, Claire etwas mehr als fünf Worte über den Vorfall in der Küche zu entlocken, als ihr Bruder dazukam und erklärte, ein gewisser Frobisher gäbe vor, Lord Robert Dudleys Diener zu sein, und würde um Einlass bitten.
»Mir kommt er wie ein Vagabund vor, Herr«, sagte Hal Latimer, »aber er schwört Stein auf Bein, dass Ihr für ihn einsteht.« Nachdem er mich selbst für einen Diener gehalten hatte, war er wohl vorsichtig geworden.
Einen Moment lang zog ich in Erwägung, Frobisher zu verleugnen und von Forsters Knechten fortprügeln zu lassen. Ich war nicht in der Stimmung für Narreteien, und ich bezweifelte, dass er wirklich etwas Nützliches herausgefunden hatte. Aber ich hatte ihm eine Woche versprochen, um sich zu bewähren, und das Wort eines Mannes sollte etwas gelten.
»Er …« Ich seufzte. »Er gehört zu mir.«
Wenig später kam Frobisher herein, das Wams halb aufgeknüpft, sein Hemd darunter voller Flecken, aber der Hut auf seinem Haupt so unbeschädigt und federprächtig, als gehöre er einem Höfling. Kein Wunder, dass Latimer ihm den Diener nicht abgenommen hatte. Frobisher zog den Hut und machte einen Kratzfuß, der sich durchaus mit anständigen Verbeugungen messen ließ, nur war er mir gegenüber zu übertrieben, und daher konnte ich nicht umhin, meine Augen zusammenzukneifen und Spott zu argwöhnen.
»Durchlauchtigster«, rief er aus, »wertester Master Blount, Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was ich für einen Tag gehabt habe! Oh, ist das ein Kapaunschlegel? Wonnige Maid, darf ich Euch bemühen, mir hungernden Unwürdigen ebenfalls etwas zu bringen? Vielleicht mit etwas Nektar, obwohl der Blick Eurer Augen genügt, um meine Seele mit Tau zu benetzen, und …«
»Schon gut«, knurrte ich und nickte Claire Latimer zu, die so aussah, als ob sie entweder mit einem Tränenausbruch oder einem Lachanfall kämpfte. »Du kannst gehen.«
»Ich bringe noch etwas kaltes Bier«, sagte sie mit einem Blick auf Frobisher. Ihre Mundwinkel zuckten, als sie sich umdrehte und gemeinsam mit ihrem Bruder
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